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Predigten

140 Jahre Vinzentinum

Liebe Haus- und Schulgemeinschaft des Vinzentinums, lieber Herr Regens, lieber Herr Direktor, liebe Eltern und Familien, liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder im Glauben! Wer auf die Homepage des Vinzentinums geht, findet dort auch das Leitbild des Vinzentinums. Dort heißt es: „Das Vinzentinum steht im Dienste junger Menschen: Es will sie auf der christlichen Grundlage in der Entfaltung der Persönlichkeit unterstützen und helfen, die Lebensziele zu klären Das Vinzentinum wurde 1872 von Fürstbischof Vinzenz Gasser als Knabenseminar zum Zweck der Bildung und der Förderung geistlicher Berufe gegründet. Angesichts der veränderten gesellschaftlichen und kirchlichen Lage ist das Vinzentinum bestrebt, diesem Auftrag zu entsprechen, indem es jungen Menschen hilft, für Leben und Wirken der Kirche Mitverantwortung zu übernehmen“. Unter dem Stichwort „Verwurzelt im Glauben“ heißt es dann weiter: „ Die Absolventinnen und Absolventen des Vinzentinums sollen die Grundbotschaft des christlichen Glaubens kennen, das eigene Gewissen schärfen und sich an ihm ausrichten, gesellschaftliche Phänomene und Entwicklungen sehen und beurteilen, Menschen in Not wahrnehmen und unterstützen, ihre Fähigkeiten nicht nur zum eigenen Vorteil einsetzen, anderen Kulturen und Weltanschauungen aufgeschlossen begegnen.“ Wir feiern heute nicht ein mächtiges und eindrucksvolles Gebäude im Norden der alten Bischofsstadt Brixen, wir feiern einen Auftrag, ein Anliegen, eine Bildungs-, Lebens-und Glaubensgemeinschaft, die unsere Ortskirche und unser Land mitgeprägt hat. Wir danken für die Generationen von Menschen, die diesem Auftrag und diesem Anliegen seit 140 Jahren ein Gesicht gegeben haben: der Gründer Fürstbischof Vinzenz Gasser, Generationen von Studenten und jetzt auch Studentinnen, Regenten und Direktoren, Präfekten und Erzieherinnen, die vierhundert Schwestern, die sich ganz in den Dienst des Vinzentinums gestellt haben, Generationen von Professoren und Professorinnen, die vielen Priester, die aus diesem Haus hervorgegangen sind, denen unsere Kirche und unsere Gesellschaft so viel verdankt, die Verwalter und viele Männer und Frauen, die für dieses Haus und seine Anliegen gelebt und gearbeitet haben. Wir feiern nicht das Lebenswerk eines einzelnen, sondern ein Gemeinschaftswerk, das viele gebraucht hat und viele braucht.Zu Recht sind wir heute versammelt, um in Freude Gott zu danken für allen Segen, der vom Vinzentinum auf unsere Ortskirche und unser Land ausgegangen ist. Ein Student in der 140jährigen Geschichte des Vinzentinums verdient es besonders, erinnert und gefeiert zu werden: Otto Neururer. Er war Vinzentiner von 1895 bis 1903. Die folgenden vier Jahre war er dann Seminarist unseres Priesterseminars und am Peter- und Paulstag 1907 wurde er hier im Dom zum Priester geweiht. Am 24. November 1996 wurde er von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen und die Studentenkapelle des Vinzentinums ist ihm geweiht. Er hat uns viel zu sagen – gerade heute. Drei Merkmale dieses ehemaligen Vinzentiner Studenten möchte ich jetzt hervorheben: Ein erstes: Wer bei Otto Neururer nach dem Außergewöhnlichen , nach dem Spektakulären, nach dem Auffälligen und nach den Schlagzeilen sucht, der sucht umsonst. Bei ihm überwiegen die Eigenschaften, die er mit vielen anderen Tiroler Priestern seiner Zeit gemeinsam hatte: Pflichtbewusstsein, gewissenhafte Vorbereitung der Predigt und der Liturgie, Treue zum Gebet und zur Kirche, eine bewusste Hinführung zu den Sakramenten, ein gediegener Religionsunterricht und die Sorge um die Kranken. Vorrang hatte bei ihm immer die ordentliche, normale Seelsorge. Aber von ehemaligen Mitschülern im Vinzentinum und im Priesterseminar und von vielen Menschen, die ihn erleben durften als Kooperator, als Religionslehrer und als Pfarrer, wird im Seligsprechungsverfahren übereinstimmend gesagt: Er tat das Normale, das Gewöhnliche außergewöhnlich überzeugend und gut. Ein zweites: Otto Neururer war nicht zum Held geboren und das Martyrium hat er nicht gesucht. Gerade Augenzeugen, die ihn nach seiner Verhaftung im Gestapogefängnis von Innsbruck besuchten, erzählen von der großen Angst, die er hatte; und noch der letzte Brief aus der Hölle von Buchenwald belegt, wie sehr er noch immer auf die Freilassung hofft und wie sehr er sich die Rückkehr in seine Pfarrei Götzens wünscht. Aber in der Konfrontation mit einem menschenverachtenden und menschenvernichtenden System ist er nicht zu einem Kompromiss um jeden Preis bereit. Er weiß, dass es noch etwas Schrecklicheres geben kann als den Verlust des eigenen Lebens; nämlich den Verlust der eigenen Würde, der eigenen Glaubensüberzeugung und damit der eigenen Seele. Otto Neururer steht vor uns mit der biblischen Überzeugung: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Es gibt auch den faulen Kompromiss. Christsein bedeutet immer auch, gegen den Strom zu schwimmen und bewusst einmal Nein zu sagen zu Lebensentwürfen, zu Lebenshaltungen, zu Trends und Ideologien, die im Widerspruch stehen zum Evangelium und zur Lehre der Kirche. Christsein bedeutet damals und heute, der Versuchung widerstehen, um jeden Preis anzukommen, um jeden Preis Applaus zu bekommen, um jeden Preis Menschen nach dem Mund zu reden, um jeden Preis modern zu gelten, um jeden Preis zu gewinnen. Denn, wer so gewinnt, sagt Jesus im Evangelium, verliert alles. Und noch ein drittes Merkmal: Otto Neururer wird verhaftet, weil er es wagt, die Heiligkeit und Unauflöslichkeit der Ehe zu verteidigen; und er wird zum Tode verurteilt, weil er gegen das strikte Verbot der Lagerleitung einem Mithäftling Katechismusunterricht erteilt. Er stirbt für zwei Säulen christlichen Lebens: für die Ehe und für das Priestertum. Zwei Säulen, die heute besonders der Umwälzung und der Diskussion unterworfen sind und die oft sogar in ihrer Existenzberechtigung und in ihrer Sinnhaftigkeit angezweifelt und infrage gestellt werden. Unserem Vinzentiner Seligen waren diese Säulen so heilig, dass er dafür sogar in den Tod gegangen ist. Otto Neururer stirbt nicht mit der geballten Faust eines Fanatikers, sondern mit der Überzeugungskraft eines Christen. Es muss auf seine Mithäftlinge großen Eindruck gemacht haben – und einige von denen, die überlebten, geben später im Seligsprechungsverfahren zu Protokoll: „Wir haben von ihm nie ein Wort gegen unsere Peiniger gehört, aber er hat nie geschwiegen, wenn es um seine Überzeugung ging.“ Auf die häufigen Appelle, die als Schikane in diesen Lagern eingerichtet waren, meldete er sich immer mit den Worten: Otto Neururer, katholischer Priester. Liebe Vinzentinergemeinschaft, in der Kapelle des Vinzentinums, in der Kapelle des Priesterseminars und auch hier im Dom gibt es eine Kapsel, die einen kleinen Teil jener Asche enthält, die die Mörder von Buchenwald nach der Verbrennung des Leichnams der Pfarrei Götzens in Nordtirol zugeschickt haben. Möge diese Reliquie uns immer erinnern an das Lebensopfer eines Menschen, der im Sinne eines gottlosen und menschenverachtenden Systems verloren und dabei trotzdem gewonnen hat. Und möge Otto Neururer Fürsprecher sein für das Vinzentinum und für uns alle, damit wir imstande sind, heute Christen zu sein und als Christen zu leben. Möge es dem Vinzentinum geschenkt sein, dass aus ihm geistliche Berufungen hervorgehen und viele Menschen, die sich dem christlichen Gottes- und Menschenbild verpflichtet wissen – zum Segen für unsere Ortskirche und für unsere Gesellschaft.