Liebe Schwesterngemeinschaft! Liebe Mitfeiernde!
Heute vor 314 Jahren starb hier in Brixen Maria Hueber, die Mutter Anfängerin, wie eure Kongregation sie nennt. Lange vor der Theresianischen Reform gründete sie die erste unentgeltliche Mädchenschule Tirols. Leid, Armut und Krankheit, Unverständnis und Verdächtigungen waren ihrem Leben nicht fremd.
Am 19. März dieses Jahres, am Festtag des hl. Josef, wurde ihr vom Papst der sogenannte „heroische Tugendgrad“ zuerkannt. Ihre Seligsprechung dürfen wir jetzt mit Freude und Hoffnung erwarten.
Am Gedenktag des hl. Ignatius und am Todestag eurer Mutter Anfängerin möchte ich jetzt mit euch, liebe Tertiarschwestern, nachdenken über die Berufung und über die Aufgabe der Ordensleute inmitten der Kirche.
Was ist das: Geweihtes Leben?
Nicht nur die Ordenschristen, sondern alle Christen sollen auf der Basis ihrer Taufe ihr Leben Gott weihen, was ja nichts anderes heißt, als sich mit dem eigenen Leben Gott anzuvertrauen. Ordensleute haben also weder ein Exklusivrecht auf ein gottgeweihtes Leben, noch sind sie allein dazu gerufen, ihr Leben ganz auf Gott auszurichten. Das ist die Lebensberufung aller Christen!
Mein Leben Gott zu weihen, heißt: Ich bin bereit, nicht nur gelegentlich und zu besonderen Auslässen dem Evangelium zu folgen, sondern zu allen Zeiten. Mein Leben Gott zu weihen, das heißt konkret: Ich öffne Gott alle Bereiche meines Lebens oder noch persönlicher formuliert, ich lasse Jesus überall dabei sein: In meiner Arbeit und in meiner Freizeit, in den schönen und in den schweren Stunden, in den wichtigen Entscheidungen, die ich zu treffen habe, und in den Beziehungen, in denen ich lebe. Ich gebe ihm in allem Mitspracherecht. Ich mache ihn zum Mittelpunkt und höre auf, nur um mich selber zu kreisen.
Was allen Gläubigen aufgetragen und gemeinsam ist, wird von einer bestimmten Gruppe von Christen und Christinnen in besonderer Weise gelebt, damit die anderen es nicht vergessen, sondern immer wieder erinnert werden. Diese Erinnerung, dieses Nach-Innen-Gehen, brauchen wir als Kirche. Deshalb ist es gut, dass es in der Kirche Menschen gibt, die in ganz ausdrücklicher Weise das leben, was Aufgabe aller ist. Deshalb ist es gut und so wichtig, dass es euch gibt! Durch euer Sein sollt ihr uns allen Mut machen und uns gleichzeitig herausfordern. Eure Lebensweise soll Fragen aufwerfen: Worauf kommt es wirklich an in unserem Leben? Was zählt? Was bleibt? Was brauchen wir, damit Leben gelingt?
Und dann noch die entscheidende Frage, die ihr durch euer Leben nach den Gelübden auslösen sollt: Wer ist für uns Gott? Das ist die Karte, auf die ihr setzt. Wenn es Gott nicht gibt, dann habt ihr auf die falsche Karte gesetzt und ein Leben nach den Gelübden der Armut, der Ehelosigkeit und des Gehorsams fällt dann wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Liebe Schwestern, wenn die Begegnung mit euch solche irritierenden Fragen auslöst, dann ist das gut! Dadurch werden wir nämlich auf die provozierende und zugleich befreiende Kraft des Evangeliums selbst gestoßen. Wir werden erinnert an Möglichkeiten des Glaubens, die wir noch nicht ergriffen haben und an die Herausforderungen des Evangeliums, hinter denen wir zurückgeblieben sind. Das Ordensleben hat für unsere Kirche eine prophetische Dimension. Es soll uns aufwecken, wo wir schläfrig sind oder wo wir uns hinter selbst zurechtgelegten Einwänden verstecken. Die Ordenschristen müssen so etwas wie der Stachel im Leben der Kirche sein, und über die Kirche hinein in unsere Gesellschaft.
Liebe Tertiarschwestern, ich danke euch heute aufrichtig für euer Sein und Tun – heute, am Todestag eurer Mutter Anfängerin, gerade hier in Brixen, wo eure Spiritualität in der Schule des hl. Franziskus Gestalt angenommen hat.
Im ihrem ersten Brief, der von ihr überliefert ist, schreibt Maria Hueber: "Jesus hat mich gefesselt, mit Liebesbanden und goldenen Schnüren". Ein schönes, berührendes Bild: von etwas, von jemandem geradezu gefesselt sein. Ordensleben ist fasziniert vom Leben Jesu und von seiner Gegenwart unter uns. Die erste Berufung der Ordensleute ist es, Jesus gegenwärtig zu machen, der betet, der verkündet, der sich zurückzieht auf den Berg, der sich der Menschen annimmt, der seinen Weg geht hin zum Leiden und über das Kreuz zur Auferstehung.
Diese Verbundenheit mit Jesus Christus möge ein Merkmal der Tertiarschwestern bleiben; in unserer Zeit ist dies besonders wichtig. Menschen, die sich selbst an Christus erinnern, die sich auf ihrem menschlichen Pilgerweg vom Wort Gottes und von der Eucharistie nähren lassen, und die so andere auf Jesus aufmerksam machen. Wir brauchen diese Erinnerung, dieses Nach-innen-gehen! Wir brauchen Ordensleute, die mit Überzeugung, Freude und Hoffnung an den armen, ehelosen und gehorsamen Jesus erinnern – nahe bei ihm und nahe bei den Menschen.