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Hirtenbriefe

Brief des Bischofs zum Tag der Solidarität / Wahlaufruf 2018

„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40) Das ist eine Kernaussage des Evangeliums: Jedem Menschen ist göttliche Würde geschenkt und in dieser Würde müssen Menschen einander begegnen. Dies gilt ohne Unterscheidung von Herkunft, Religion oder Kultur, aber bevorzugt für die Armen, Leidenden, Ausgegrenzten. Wir sind einander in Solidarität verpflichtet. Als Trägerin dieser Botschaft hat die Kirche einen klaren politischen Auftrag. Die Trennung von Kirche und Staat ist damit keineswegs in Frage gestellt. Die Kirche muss überparteilich sein, darf jedoch nicht unpolitisch und unparteiisch sein. Sie steht auf der Seite der Schwächeren und setzt sich für mehr soziale Gerechtigkeit ein, für die Bewahrung der Schöpfung und für ein friedliches Miteinander der Menschen.
Der Tag der Solidarität, der in unserer Diözese jährlich am dritten Fastensonntag gehalten wird, fällt heuer mit den Parlamentswahlen zusammen. Gemeinsam mit der Kommission für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit, dem Katholischen Forum und der Consulta delle aggregazioni laicali nehme ich darum den Tag der Solidarität zum Anlass für einige Überlegungen. Die anstehenden Wahlen der Vertretungen für Kammer und Senat in Rom sowie für den Landtag bzw. Regionalrat sind Anlass für einen Aufruf zur engagierten Wahlbeteiligung, sowohl passiv als auch aktiv.
Auf dem Scherbenhaufen neoliberal-kapitalistischer Politik wachsen Ungerechtigkeit und Ausgrenzung. Immer mehr Menschen reagieren darauf mit vereinfachendem Populismus und egoistischem Nationalismus oder mit kleinkariertem und oft falsch verstandenem Patriotismus.
Die Antwort muss eine andere sein, wie sie Papst Franziskus in der Enzyklika Laudato Si‘ deutlich aufgezeigt hat: eine gemeinwohlorientierte, sozial ausgleichende und ökologisch nachhaltige Politik! Die Politik muss über den freien Kräften des Marktes stehen, das Allgemeininteresse muss vor den Privatinteressen kommen. Auch in unserem kleinen Südtirol besteht die Gefahr, dass einseitige Wirtschaftsinteressen und nationalistische Kräfte die Medien und die öffentliche Diskussion stark beherrschen und dass dabei ökologische, soziale und demokratische Anliegen unter die Räder kommen. Solidarität muss in Recht gegossen werden, sonst wird sie beliebig. Gerechtigkeit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit stehen über den Ansprüchen und Forderungen des Einzelnen. Das Recht eines jedes Menschen auf ein Leben in Würde und Freiheit gilt nicht nur für die Wohlhabenden.
Papst Franziskus mahnt eindringlich zur Änderung des Lebensstils, damit wir aus dem Wachstumszwang der Konsumgesellschaft und aus der ungleichen Verteilung von Wohlstand und Lebenschancen herauskommen. Nur so wird langfristig stabiler Frieden möglich.
Die Antwort auf weitverbreitete Resignation sowie auf Neid und Hass kann nur sein: Nächstenliebe und nicht die Abnabelung der Wohlstandsgesellschaft durch das Bauen von Zäunen zum Ausgrenzen der Ärmsten. Rassismus und Nationalismus haben zu den beiden Weltkriegen geführt. Langfristig ist Frieden nur möglich, wenn die Vielfalt der Kulturen und Religionen als Reichtum gesehen wird. Das Gleiche gilt für die Umwelt: Nur die Vielfalt und die naturnahe Bewirtschaftung der Erde garantieren Nachhaltigkeit. Europa könnte zum Modell-Kontinent der Erde werden. Dabei sind ausgleichende Maßnahmen zwischen reichen und armen Regionen zielführend und nicht die konkurrierenden nationalstaatlichen Eitelkeiten.
Auf dem Hintergrund des Evangeliums wollen wir als Christen in unseren alltäglichen Lebensentscheidungen und in unserem politischen Engagement für Solidarität und Mitmenschlichkeit einstehen. Ich lade alle Wählerinnen und Wähler ein, die Programme und Aussagen der Parteien und deren Kandidaten und Kandidatinnen auf diesem Hintergrund zu beurteilen. Folgende Fragen könnten dabei helfen:
Steht die Partei mit ihren Exponenten… · …für eine Gesellschaft, in der die Stärkeren für die Schwächeren Verantwortung übernehmen? · …für ein Gemeinwesen, an dem alle Menschen, unabhängig von Herkunft, Kultur oder Religion teilhaben können? · …für eine Wirtschaftsweise, die sozial nachhaltig ist? · …für echte christliche Werte ohne Missbrauch der christlichen Tradition für Ab- und Ausgrenzung? · …für klare und starke Maßnahmen zum Schutz des menschlichen Lebens, der Schöpfung und des Klimas? · … für einen klaren Einsatz für die Familie, die die Urzelle der Gesellschaft ist. · …für sachliche und differenzierte Argumente und nicht für große Parolen und Versprechen? · …für den Schutz des Sonntags und unserer Feiertage als arbeits- und konsumfreie Zeit? · …für ein geeintes Europa, in dem das Wohl der Menschen über den nationalen Interessen und den Interessen großer Konzerne steht? · …für eine Wirtschaft, die der Allgemeinheit dient? · …für eine Gesellschaft, in der unterschiedliche Herkunft, Kultur und Religion als Bereicherung und nicht als Belastung gelebt werden? · …für ein gutes und echtes Miteinander der Sprachgruppen in Südtirol, gegen alle Versuche, die Wunden der Geschichte neu aufzureißen?
Im politischen Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung bestärkt uns das Lebenszeugnis des Seligen Josef Mayr-Nusser: Christlich, mutig und solidarisch hat er klar Position bezogen. In den Entscheidungen des Alltags bis hin zur Hingabe seines Lebens. Seiner Fürsprache vertrauen wir in dieser Zeit der politischen Entscheidungen.
Zuletzt noch ein Wort zum Patronat von KVW/ACLI: Als konkrete Form der Solidarität werden hier wichtige Dienste geleistet, die einem gerechten Miteinander in der komplexen Welt der Arbeit dienen. Obwohl diese Dienste allen zugutekommen, wird es immer schwieriger sie zu finanzieren. Die Sammlung für das Patronat am Tag der Solidarität möchte ich darum allen ans Herz legen. Von Herzen wünsche ich allen einen entschiedenen Weg auf Ostern zu, das Fest über allen Festen. Christus ist mit uns solidarisch geworden bis zur Hingabe seines Lebens. Seine Solidarität mit uns ist grenzenlos.
+ Ivo Muser
3. Fastensonntag, 4. März 2018