Tagaus, tagein sind wir mit Bildern von Elend, Not und Leid konfrontiert. Und vermutlich ertappen wir uns alle dabei, vor lauter "Hinschauen müssen" nicht mehr "hinschauen zu können".
Die Nachrichten sind jeden Tag geprägt durch die Bilder des Ukrainekrieges und des Krieges im Gazastreifen. Kriegsbilder, die ungeschminkt deutlich machen, was die Konsequenz eines jeden Krieges ist: Zerstörung, Verletzung der Menschenwürde und der Menschenrechte, getötete und geschundene Menschen, Menschen auf der Flucht.
Waffen töten, Worte tun es auch. Trotzdem werden in den sozialen Netzwerken und nicht nur dort Andersdenkende rücksichtslos beschimpft und an den Pranger gestellt – und das alles oft ohne Namen und Gesicht.
Immer noch gibt es eine arrogante „Wir-sind-wir-Mentalität“, einen hochmütigen Nationalismus, einen billigen Populismus, einen hässlichen Antisemitismus, einen menschenverachtenden Terrorismus, und die Rüstungsexporte steigen. Wer wirklich verdienen will, investiert in die Waffenproduktion. Immer noch, und heute verstärkt, werden Menschen weltweit benachteiligt, verfolgt und sogar getötet wegen ihrer religiösen Überzeugung, darunter vor allem Christen.
Halten wir kurz inne, um auf die inneren und äußeren Bilder des Leids und des Kreuzes zu schauen, die uns persönlich in den vergangenen Monaten begleitet und belastet haben. Jeder und jede von uns trägt solche Bilder in sich. Stille!
Am Karfreitag schauen wir auf den zu Tode verwundeten Jesus am Kreuz. Wir wenden unseren Blick bewusst nicht ab, setzen uns dem Anblick aus, ja, machen die Wirkung
des Anblicks noch stärker, indem wir heute ganz bewusst das verhüllte Kreuz enthüllen. Wir schauen auf den Gekreuzigten und suchen bei der Kreuzverehrung seine Nähe. In allen Verwundungen der Geschichte und der Gegenwart suchen wir die Nähe dieses Verwundeten, um uns von ihm heilen zu lassen.
Doch wie soll das gehen? Wie soll es Heilung, Hoffnung und Trost geben durch die Wunden eines anderen? Das ist nur möglich, wenn wir daran glauben, dass dieser Verwundete und Getötete Gottes Sohn ist und dass er durch den Tod hindurch heute als der Auferstandene lebt. Wir glauben, dass Jesus in einem unbeschreiblichen Maße solidarisch war mit allen Menschen: an ihrer Seite in der Freude, im Weinen, im Trauern, im Leiden und sogar im Sterben. Wir glauben, dass er ganz eingetreten ist für die anderen. Wir glauben, dass in seinen Wunden Gott selber sich für uns verwunden ließ, damit unsere Wunden, die erlittenen und die selbstverschuldeten, Heilung finden.
Einer der großen Heiligen der Kirche, Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens und der Lehrmeister der Exerzitien, der seine innere, seelische Heilung einer äußeren Verwundung im Krieg verdankt, weil er auf dem Krankenlager seine Bekehrung erfahren hat, tut das Kühnste, was ein Christ tun kann: Er bittet darum, in den Wunden Christi geborgen zu sein. Ignatius war davon überzeugt, dass Jesu Wunden so weit sind, dass alle menschlichen Wunden darin Platz haben und dass diese Wunden der wichtigste Ort der Heilung sind. Weil diese Wunden uns in Berührung bringen mit dem lebendigen Gott. Es ist ein verwundeter Gott, der deutlich macht: Ich leide mit euch, ich gehe mit euch bis ins Letzte. Weil ich, Gott selber, mich für euch verwunden ließ, sind Leid, Gewalt, Tod und Grab nicht das Letzte!
Mit dem Gebet des hl. Ignatius lade ich jetzt alle ein, an diesem heiligen Tag, alle Wunden, die persönlichen und
die Wunden der Menschheit, dem gekreuzigten Herrn zu übergeben:
Seele Christi, heilige mich.
Leib Christi, rette mich.
Blut Christi, tränke mich.
Wasser der Seite Christi, wasche mich.
Leiden Christi, stärke mich.
O guter Jesus, erhöre mich.
Birg in deinen Wunden mich.
Von dir lass nimmer scheiden mich.
Vor dem bösen Feind beschütze mich.
In meiner Todesstunde rufe mich,
zu dir zu kommen heiße mich,
mit deinen Heiligen zu loben dich
in deinem Reiche ewiglich. Amen.