Heute, am 8. September, feiert die Kirche eines ihrer ältesten Marienfeste. In den liturgischen Texten dieses Festes wird Maria mit der „Morgenröte“ verglichen. So heißt es etwa in der Präfation: „In ihr leuchtete auf die Morgenröte der Erlösung; sie hat uns Christus geboren, die Sonne der Gerechtigkeit.“ Und im Schlussgebet der Eucharistiefeier heißt es: „Erfülle uns mit Freude am Geburtsfest der seligen Jungfrau Maria, denn sie ist die Morgenröte des Heiles und das Zeichen der Hoffnung für die ganze Welt.“
„Auf dein Wort hin…beschenkt, gerufen, gesandt“: Mit diesem Motto versuchen wir in diesem pastoralen Arbeitsjahr unsere Synode aufzugreifen, zu vertiefen und weiterzuschreiben. Lasst es mich im Bild des heutigen Festes Maria Geburt sagen: Wir sind als Kirche nicht die Sonne; wir als Kirche sind nicht „das Licht der Völker“. Uns braucht es aber – wie Maria, das Urbild der Kirche - mit allem, was wir sind und tun, als Morgenröte, die die aufgehende Sonne ankündigt, erwartet, vorbereitet und scheinen lässt.
Ich werde jetzt einige Schwerpunkte für dieses neue pastorale Arbeitsjahr 2018/2019 benennen. Ich verstehe meine Ausführungen als eine Einladung zum Weiterdenken und Weiterschreiben, als eine Ermutigung und als eine Bitte, gemeinsam auf dem Weg zu bleiben und gemeinsam – unter den heutigen Herausforderungen und Bedingungen! – das zu tun, wozu wir als Kirche beschenkt, gerufen und gesandt sind.
1. Beschenkt, gerufen, gesandt - unsere christliche Grundberufung Im zweiten Jahr meines Dienstes als Regens des Priesterseminars hatten wir in unserem Brixner Priesterseminar einen orthodoxen Studenten aus Weißrussland zu Gast. Er erzählte mir, dass zu den ersten Dekreten, die Stalin nach seiner Machtergreifung unterzeichnet hatte, jenes gehörte, das Priestern und Ordensleuten verbot, in der Öffentlichkeit erkennbar zu sein und ihren Dienst öffentlich auszuüben. Besonders bemerkenswert war die Begründung für dieses Verbot: „Wer einen von denen begegnet, könnte immer noch auf den Gedanken kommen, dass es einen Gott gibt.“ Auf eine negative und zynische Weise hat Stalin damit Priestern und Ordensleuten das schönste Zeugnis ausgestellt: Menschen, die ihnen begegnen, könnten veranlasst werden, die Gottesfrage in ihrem Leben zu stellen. Ihr Sein, ihr Wort, ihr Auftreten und ihr Tun als eine unbequeme und aufrüttelnde Provokation: Und wenn es Gott doch geben sollte? Und wenn es ihn vielleicht doch gibt?
Die alte Kirche sprach von den Getauften als einem „alter Christus“. Alle Getauften sind ein „anderer Christus“. Wie könnte und müsste sich in diesem pastoralen Arbeitsjahr, an dem das Thema der Berufung besonders akzentuiert wird, zeigen, dass es unsere erste Aufgabe als Kirche mit unseren verschiedenen Berufungen, Charismen und Zuständigkeiten in dieser Welt ist, die Gottesfrage lebendig zu halten? Für mich ist das eine ganz persönliche, aber auch eine kirchliche Priorität. Wir leben dann unsere je eigene christliche Berufung, wenn Menschen in der Begegnung mit uns herausgefordert, ermutigt und gestärkt werden zur Frage: Und wenn es den Gott der Bibel doch geben sollte?
Ich finde es wichtig, dass wir es zugeben: Der schleichende, praktische Atheismus nagt an uns allen. Religion und religiöse Bedürfnisse, sehr oft auch in esoterischer Färbung, sind zwar sehr präsent in unserer Gesellschaft. Ich empfinde unsere Zeit keineswegs a – religiös. Aber personaler Gottesglaube, der mich persönlich herausfordert, der mich meint und der mich in der Glaubensgemeinschaft der Kirche mit anderen verbindet, steht heute sehr häufig unter Verdacht. Und es gibt auch den „kirchlichen Atheismus“, der die horizontale Dimension der kirchlichen Praxis immer weniger verankert in der vertikalen Dimension des christlichen Glaubens.
Ich wünsche mir, dass dieses pastorale Arbeitsjahr mit dem Schwerpunkt der Berufung uns alle herausfordert: jeden und jede von uns am eigenen Platz. Ich mache mir die provokanten Bemerkungen zu eigen, die Franz Kamphaus, der frühere Bischof von Limburg, in einem Hirtenbrief so formuliert hat: „Wir sind mit den meisten Dingen immer noch gut ausgestattet, es läuft. Aber ist bei uns die Glut des Evangeliums zu spüren, die Leidenschaft für Gott? Wir leugnen ihn nicht, aber wir rechnen auch nicht ernsthaft mit ihm. Unser Gott ist weder zu fürchten noch zum verlieben. Fängt jemand damit an, wird er schnell in eine Ecke gestellt. So reden und erklären wir viel, aber es kommt kaum noch durch, was wir der Welt schulden: das Zeugnis vom lebendigen Gott Jesu Christi. Jede christliche Berufung steht und fällt mit der Liebe zu Gott. Sie ist das Abenteuer und das Wagnis unseres Glaubens.“
2. Beschenkt, gerufen, gesandt – für andere Auf dem Fundament der grundlegenden, gemeinsamen, christlichen Berufung, sollten wir in diesem pastoralen Arbeitsjahr ganz bewusst und offen über „geistliche Berufungen“ reden. Nicht mit vorgehaltener Hand, nicht ideologisch, nicht verschämt, sondern mit Freude und Hoffnung, mit Überzeugung und Mut.
Ich kenne keine besseren Worte um die Zuordnung zwischen dem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen und dem Priestertum des Dienstes zum Ausdruck zu bringen als die bekannten Worte des großes Kirchenvaters Augustinus: „Was mich an meinem Amt schreckt, ist dies: ich könnte vielleicht mehr Freude haben, was an dieser Stellung gefährlich ist, als an dem, was daran Frucht für euer Heil verspricht. Schreckt mich, was ich für euch bin, so tröstet mich, was ich mit euch bin. Für euch bin ich Bischof, mit euch Christ. Das eine ist der Name des Amtes, das ich übernahm, das andere der Name der Gnade, die ich empfing; das eine bedeutet Gefahr, das andere Heil. … So freut es mich denn mehr, dass ich mit euch erlöst, als dass ich über euch gesetzt bin.“
Kirchliches Leben erschöpft sich nicht im sakramentalen Dienst der Bischöfe, Priester und Diakone. Die ganze Kirche ist größer und umfassender als der Dienst des Weihesakramentes in ihr. Aber diese Kirche kann nicht verzichten auf den ganz spezifischen sakramentalen Dienst, der seine Grundlage im Weihesakrament hat.
Das Weihesakrament ist eine bleibende Anfrage an die Gemeinschaft der Kirche, ob Christus das letzte Wort zugestanden wird. Wir können Kirche nicht machen, wir können Kirche nur sein – von Christus her. Ich werde nicht müde, zu wiederholen: Um Christus muss es uns gehen! Alle liturgischen und außerliturgischen Dienste, alle Formen der Zusammenarbeit, alle Gremien, Planungen, Initiativen und Aktionen einer christlichen Gemeinde müssen sich daraufhin überprüfen lassen, ob es uns tatsächlich um Christus geht.
Wir reden viel, vielleicht sogar zu viel, vom Priestermangel und vom Mangel an geistlichen Berufen. Reden wir genug vom Ehemangel, Familienmangel, vom christlichen Gemeindemangel? Ist es übertrieben zu behaupten, dass geistliche Berufe eng zusammenhängen mit der Berufung zur christlichen Ehe und Familie und dass in Zeiten, in denen Ehe und Familie zu wenig geschätzt und gewollt werden, auch geistliche Berufe aus dem Blickfeld geraten? Denselben christlichen Mut, den jemand braucht, der sich auf den Weg macht zu einem geistlichen Beruf, brauchen auch jene, die heute die Ehe als christliche Berufung leben möchten! Brauchen nicht geistliche Berufungen das Zeugnis der Ehe und die Eheleute das Zeugnis der Menschen in einem geistlichen Beruf? Sind nicht die christliche Ehe und die geistlichen Berufe der Priester, Diakone und Ordensleute gemeinsam ein heilsamer Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft und auch unserer Kirche?
Ich wünsche mir sehr, dass in diesem Arbeitsjahr das Thema „Berufung“ breit, offen und ideologiefrei zur Sprache kommt. Ich bitte alle darum, Räume der Stille, des Gebetes, des Nachdenkens, aber auch der Konfrontation und der Reflexion zu eröffnen, durch die deutlich wird, dass das Evangelium nur dort verkündet wird, wo es als „Evangelium der Berufung“ wahrgenommen und erlebt wird.
Als ein personales Zeichen für dieses „Evangelium der Berufung“, das uns allen anvertraut ist, war mir die Ernennung von Josef Knapp zum Verantwortlichen der Berufungspastoral ein Herzensanliegen. Dabei geht es nicht um ein Alibi und noch weniger soll Josef Knapp mit einem Erwartungsdruck seinen neuen Dienst beginnen. Seine Aufgabe aber steht für eine klare Priorität unserer Diözese: Wir begleiten, brauchen, wollen, fördern und unterstützen geistliche und kirchliche Berufungen! Seine Aufgabe soll es sein, vor allem für junge Menschen da zu sein, ihnen zu vertrauen, ihnen zuzuhören, sie wertzuschätzen, sie hinzuweisen, ihnen viel zuzutrauen, zu klären, zu begleiten, zu stärken, junge Menschen auf der Suche zu vernetzen und mit ihnen den Weg zu suchen, den Gott für sie vorgesehen hat.
Auf einige Angebote in diesem pastoralen Arbeitsjahr will ich besonders aufmerksam machen: das Gebetsnetz für Familien und geistliche Berufe, von dem ich mir wünsche, dass es sich um die ganze Diözese legt. Es wird ab Oktober bis Juni 2019 ein monatliches Gebet um geistliche Berufe an zehn verschiedenen Orten unserer Diözese geben, wo ich hoffe mit vielen im Anliegen der Berufungen beten zu können. Ich lege allen jungen Menschen die Initiative „Maranatha“ ans Herz. Dabei geht es um abendliche Treffen für Jugendliche mit Bibel, Katechese, Austausch, eucharistischer Anbetung, Beichtgelegenheit und einem gemütlichen Ausklang.
Ich bitte darum, dass die Klöster, das Priesterseminar, kirchliche Heime und Schulen, Wallfahrtsorte, aber auch Pfarrkirchen und Pfarrhäuser von jungen Menschen wahrgenommen werden können als Orte der Gastfreundschaft, der Stille und des Austausches, auch der Möglichkeit zu einer Aussprache und zur Beichte.
In der Begleitung junger Menschen, vor allem auch junger Erwachsener, und in der gemeinsamen Wertschätzung für alle Berufungen, die es in unserer Kirche gibt und die sie braucht, geht es um unsere Zukunft! Ich danke Josef Knapp für seine Bereitschaft, sich in „die Wüste schicken zu lassen“, und ich wünsche mir, dass wir alle, jeder und jede von uns am eigenen Platz und mit der eigenen Berufung, diesen Auftrag mit Freude, Überzeugung und Hoffnung mittragen. Ich wünsche uns allen, dass wir dabei nicht Druck erzeugen oder gar einander Schuld zuweisen, sondern dass wir gemeinsam eine geistliche Atmosphäre der Freude an Jesus und an seiner Kirche fördern, die immer noch der beste Nährboden ist, damit das „Evangelium der Berufung“ Menschen erreicht.
3. Beschenkt, gerufen, gesandt – als Getaufte und Gefirmte Eine besondere Form der Begleitung junger Menschen auf ihrem persönlichen Lebens-, Glaubens- und Berufungsweg ist auch die Hinführung zu den Sakramenten. Taufe, Firmung und Eucharistie gehören zusammen und sind aufeinander bezogen. Die Taufe ist das Grund- und Wurzelsakrament des christlichen Lebens und die Eucharistie ist das wichtigste aller unserer Sakramente. Ohne das zu vergessen oder zu vernachlässigen werden wir uns in diesem pastoralen Arbeitsjahr vor allem der Firmung zuwenden. Aufgrund der sich stark im Wandel befindlichen Seelsorge und im Hinblick auf den Auftrag, die Sakramente als Sakramente des Glaubens zu feiern, wird in unserer Diözese mit der Firmung ein neuer Weg in der Hinführung und Begleitung begonnen. Bereits bei der Seelsorgetagung im vergangenen Jahr habe ich angekündigt, dass in den Jahren 2020 und 2021 das Sakrament der Firmung an Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren nicht mehr gespendet werden wird. Im vergangenen Jahr ist das neue Konzept zur Firmkatechese in den diözesanen Gremien (Dekanekonferenz, Priesterrat und Pastoralrat) besprochen und mit großer Mehrheit befürwortet worden.
Vielfach werden Ängste und Bedenken zum neuen Konzept, auch mir gegenüber, ausgesprochen. Aber mir ist es ein Anliegen, dass wir uns von den Ängsten und Bedenken nicht entmutigen lassen. Es gibt Gründe, die für und auch Gründe, die gegen das neue Konzept sprechen – das war von Anfang an klar. Unser Weg ist nicht der einzig mögliche oder gar der einzig richtige. Diese Demut lehrt uns schon ein Blick in die Kirchengeschichte. Aber es ist auch an der Zeit, dass wir neue Schritte wagen und versuchen. Deshalb ist es mir ein großes Anliegen, dass die Chancen des neuen Firmweges gesehen werden und dass dieser Weg mit Freude und mit Überzeugung umgesetzt wird. In der intensiven Auseinandersetzung mit diesem Weg habe ich für mich erkannt: Es ist besser in dieser Frage einen Fehler zu machen, als einfach nichts zu tun. Oder noch schlimmer: Wir tun nichts, obwohl wir gemerkt haben, dass die pastoralen Konzepte, die bisher getragen haben, nicht mehr tragen.
Deswegen: Bitte tragt diesen Weg aktiv mit! Und wenn wir entdecken sollten, dass es nicht geht, dann ändern wir wieder den Weg. In der Frage des Firmweges gab und gibt es in der Kirche eine große, legitime Bandbreite.
Ab Oktober werden vom Amt für Schule und Katechese sieben offene Veranstaltungen organisiert und durchgeführt, wo allen Sakramentenkatechetinnen und -katecheten, den Pfarrgemeinderäten und allen interessierten Eltern und Gläubigen der neue Firmweg vorgestellt wird. Dieser neue Firmweg wird für jede Pfarrei eine Herausforderung werden. Nicht nur die Jugendlichen werden herausgefordert, sondern die Erwachsenen noch viel mehr. Für mich ist das besonders wichtig und vorrangig! Denn für diesen neuen Firmweg braucht es erwachsene Glaubenszeuginnen und -zeugen, die selbst im Glauben verwurzelt sind und die bereit sind, mit Jugendlichen sich auf einen Glaubensweg zu machen. Es wird also für uns sichtbar werden, wie lebendig wir als Glaubensgemeinschaft sind.
Der Arbeitsgruppe rund um Markus Felderer danke ich aufrichtig für die bisher geleistete, intensive Arbeit.
4. Beschenkt, gerufen, gesandt – den Glauben kennen zu lernen auch im öffentlichen Kontext der Schule Im zurückliegenden Schuljahr gab es viele Diskussionen um den Religionsunterricht. Diese Diskussion war auch begleitet von Verunsicherung, von Vorurteilen und auch von einigen schmerzlichen Entwicklungen, die zeigen, wie sehr sich die Einstellung nicht weniger Menschen auch in unserem Land Glauben und Kirche gegenüber geändert hat. In einer immer pluraler werdenden Gesellschaft ist die Auseinandersetzung mit Werten und Inhalten, die unsere Kultur mitgeprägt haben und immer noch mitprägen, wichtig. Im Religionsunterricht geht es darum, sich mit den Inhalten des katholischen Glaubens auseinanderzusetzen, sich eine Meinung zu bilden und argumentieren zu können. So gestärkt sollen junge Menschen in unserer Welt Orientierung finden und mit Menschen anderer Religionen und mit Andersdenkenden in einen offenen und angstfreien Dialog treten können.
Nicht selten höre ich die Frage: Geht es beim Religionsunterricht nicht nur um ein Privileg der Kirche, auf das sie verzichten sollte? Noch mehr Menschen sind heute der Überzeugung: Religion ist doch Privatsache. Sie mag vielleicht noch in den eigenen Räumen berechtigt sein, sie hat aber in der Öffentlichkeit nichts verloren. Dazu möchte ich klar festhalten: Wenn Religion aus der öffentlichen Schule verbannt wird, fehlt eine wichtige Dimension ganzheitlicher Bildung. Es gibt gute Gründe dafür, dass die religiöse Dimension von Bildung sogar in der Verfassung verankert ist. Die Schule soll selbstverständlich Wissen vermitteln, aber das allein ist zu wenig. Sie soll auch helfen, einen Weg ins Leben zu finden und Wissen so einzusetzen und zu verwenden, dass es dem Leben und dem Zusammenleben der Menschen dient. Sie soll Antwortmöglichkeiten auf die großen Fragen des Lebens anbieten: Was trägt, was bleibt, worauf kommt es an? Was tröstet im Leben? Wer gibt Antwort auf das Leid? Und auf den Tod? Was gibt meinem Leben Orientierung und Sinn? Somit leistet der Religionsunterricht einen Beitrag zur religiösen Bildung, die der Staat als neutraler Staat nicht leisten kann. Nicht zuletzt deswegen wird ein demokratischer Staat Interesse daran haben, religiöse und weltanschauliche Wertorientierung im Raum der Öffentlichkeit zu garantieren, ohne die er selber nicht bestehen kann.
Um all das geht es im Religionsunterricht. Deswegen ist es wichtig und auch legitim, ihn zu wollen, zu fördern und nicht aus der Schule hinauszudrängen – gerade auch im Kontext einer demokratischen, pluralen und zunehmend auch multireligiösen Gesellschaft.
Ich nütze diese Gelegenheit allen Religionslehrerinnen und Religionslehrern von Herzen zu danken für ihren Einsatz im Religionsunterricht, in der Schule ganz allgemein und oft auch im pfarrlichen Leben.
5. Beschenkt, gerufen, gesandt – auch zum verantwortungsvollen Umgang mit der Sprache Hier greife ich einen Gedanken auf, der mir sehr am Herzen liegt, und den ich in meinem Hirtenbrief "Mit Maria für die Würde des Menschen" zum Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel mit der ganzen Diözese teilen wollte. Wir erleben zurzeit in der Öffentlichkeit eine Verrohung der Sprache, die ihren Ursprung vielleicht in der Schwierigkeit hat, Gedanken, Worte, Lebensentscheidungen und Verhaltensweisen in Einklang zu bringen. Das Wohl aller braucht Aufmerksamkeit auf die Komplexität; es braucht Zeit zum Innehalten und Nachdenken. Nicht wenige Menschen aber, auch Menschen in politischen und verantwortungsvollen Positionen, verwenden - ohne sich die Mühe des Nachdenkens zu machen - eine vereinfachende Sprache; sie reden und handeln bevor sie nachdenken. Ein Slogan, wenn er auch noch so inhaltsleer ist, bewirkt mehr als Argumente.
Wir können nicht einerseits für die Würde jedes einzelnen Menschen eintreten und dann Männer, Frauen und Kinder beleidigen und verhöhnen, nur weil sie unter unmenschlichen Situationen geboren wurden, in Kriegsgebieten, in Hunger und Not. Es werden Worte verwendet, welche Angst schüren, und Angst verhindert ein menschliches Miteinander, Angst schürt Argwohn und Misstrauen.
Wir sind aufgerufen, aufmerksam hinzuhören und zu unterscheiden zwischen Worten, die Gutes bewirken und der Entfaltung der Menschen dienen, und Worten, welche Beziehungen zerstören, Menschen demütigen und auf einen billigen und kurzfristigen Konsens abzielen.
Aussagen wie "Wir zuerst" stehen im Gegensatz zur Botschaft des Evangeliums, aber auch im Gegensatz zu den Grundwerten der Europäischen Union: Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Menschenrechte. Als Christinnen und Christen, die eine universale Botschaft vertreten, müssen wir uns fragen: Wer ist unser "Wir"?
Vereinfachende und Gewalt verherrlichende Aussagen sichern oft große Zustimmung; diese Tatsache muss uns nachdenklich stimmen. Als in den Dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Europa Gewalt verherrlichende Sprüche erklangen, haben kleine Gruppen - mit ihnen auch Josef Mayr-Nusser - Widerstand geleistet; sie haben innegehalten und Schritt für Schritt eine neue Kultur des Miteinander entwickelt. Manchmal auch unter Einsatz ihres Lebens. Auch wir heute sind aufgerufen, auf das Böse mit dem Guten zu antworten. Nicht naiv, aber als Personen die wissen, dass der Mensch nur im Gutsein Mensch bleiben und sich ganzheitlich entfalten kann.
Christliche Überzeugung mahnt uns, mit Worten nie leichtfertig umzugehen - schon gar nicht mit dem Wort Gottes.
6. Beschenkt, gerufen, gesandt – für unsere Gesellschaft
Am 21. Oktober entscheiden die Wählerinnen und Wähler, welche Frauen und Männer in den nächsten Jahren in unserem Land politische Verantwortung übernehmen. Mit dieser Wahl werden Weichen gestellt – für eine gemeinsame Zukunft. Für Christinnen und Christen muss es eine Selbstverständlichkeit sein, zur Wahl zu gehen. Der erste Schritt dabei ist, sich über eine verantwortungsbewusste Wahlentscheidung ein eigenes Urteil zu bilden. Eine Initiative des Katholischen Bildungswerkes gemeinsam mit dem Amt für Dialog kann dafür eine Hilfe bieten: „Das Kreuz mit der Wahl“ lautet der Titel einiger Abendveranstaltungen, die Anfang Oktober in Meran, Bruneck und Bozen angeboten werden und wo verschiedene Politiker und Politikerinnen zu Themen, die uns als Christinnen und Christen am Herzen liegen, Stellung beziehen werden.
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