Klausen, 18. Oktober 2018
„Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen“. Dieses Zitat von Johann Wolfgang von Goethe habe ich bewusst als Leitspruch für den heutigen Abend gewählt. Denn gerade darin wird eine zentrale Aufgabe der Künste, zu der auch die Architektur, die Literatur und die Musik gehören, ausgedrückt. Gleichzeitig sehe ich darin einen gemeinsamen Nenner, der für die Kunst gleichermaßen gilt wie für den Glauben und die Religion.
Thomas von Aquin, einer der größten und einflussreichsten Theologen, den unsere Kirche hervorgebracht hat, sagte einmal: „Alle unsere Bilder, Vorstellungen und Aussagen von und über Gott sagen eher, wer er nicht ist, als wer er ist“. Gott kann nicht in Worten definiert, beschrieben oder gar zurechtgelegt werden. Gott kann nicht in ein System gebracht werden. Gott ist unbeschreiblich, er ist unendlich; alles Reden über ihn greift zu kurz und bleibt Versuch und ein Ringen. Kardinal Carlo Maria Martini von Mailand sagte einmal treffend: „Non fare di Dio un Dio tascabile“.
Und dennoch ist es wichtig, über ihn zu reden; dennoch ist es notwendig, in Worten auszudrücken, was im Grunde nicht fassbar ist. Es geht um zaghafte, stümperhafte Versuche, eine Brücke zu bauen und - im übertragenen Sinne - ein Bild zu entwerfen. Selbstverständlich sind diese Bilder so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Die Zugänge sind so verschieden, wie die Lebensgeschichten und Erfahrungen der Menschen.
Genau hier liegt die Parallele zur Kunst. Auch sie zielt darauf ab, hinter allem Sichtbaren eine andere, tiefere Wirklichkeit aufzuzeigen. Eine Wirklichkeit, die nicht beschreibbar und nicht fassbar ist. Und auch in diesem Falle sind Wege verschiedenartig, die Zugänge, die Fragen und Antworten der Kunstschaffenden unterschiedlich und individuell.
Es versteht sich von selbst, dass Kirche und Kunst so lange in einem Wechselspiel voneinander profitiert haben, solange das Ziel und die Aufgabenstellung zusammenfielen: nämlich hinter allem Sichtbaren und Irdischen Gott zu suchen und Wege, Bilder oder Versuche aufzuzeigen, die zu Gott führen.
Dass dies aber im Laufe der Geschichte der Idealfall - aber nicht der Normalfall - war, muss auch aufgezeigt werden. Und ich möchte dies bewusst klischeehaft und zugespitzt sagen. Die Kirche war sicherlich über weite Strecken einer der größten Auftraggeber für die Künstler. Die Programme und Inhalte wurden aber meist vorgegeben. Kunst war im Regelfall nicht frei. Auch wurde die Kunst nicht selten als Propaganda und Präsentation, Inszenierung und Machtdemonstration für die Kirche - und nicht weniger auch für weltliche Herrscher - eingesetzt, mit dem wichtigen Unterschied, dass die Kunst in der Kirche länger überdauert hat, weil Regierungen die Werke ihrer Vorgänger oft zerstört haben. Kunst war nicht selten Mittel zum Zweck. Denn Bilder, egal ob Bauwerke, Plastiken oder Malereien, haben eine direkte Wirkung auf Menschen, prägen sich ein, halten fest. Dies umso mehr in einer Zeit, in der Fernsehen, Internet und Smartphone noch keine Rolle spielten.
Wenn heute von einer Krise im Dialog von Kunst und Kirche gesprochen wird, so trifft dies mit Sicherheit zu, auch wenn in der Vergangenheit das Verhältnis nicht immer so ideal war, wie wir heute oft meinen. Aber die Rolle der Kunst hat sich im 20. Jahrhundert rasant gewandelt. Sie ist autonom geworden, sie braucht die Kirche nicht mehr. Kunst hat eigene Ansprüche, eigene Wahrheiten, die sich nicht mit denen der Kirche decken. Kunst will aufdecken, anecken, provozieren oder aufklären, sie will der Zeit voraus sein, eigene Maßstäbe vorgeben. Die Kirche hingegen wird heute oft als schwerfällig, mühsam und konservativ gesehen. Manchmal wirkt sie mutlos und ängstlich, weltfremd und altmodisch. Kirche und Kunst scheinen sich in der Wahrnehmung vieler Zeitgenossen diametral gegenüberzustehen. Der Graben dazwischen scheint unüberwindbar.
Was mir aber auch auffällt, möchte ich an einigen Beobachtungen festmachen: Wenn Kunst und Kirche aufeinandertreffen, kommt es oft zu Meinungsverschiedenheiten, zu Unstimmigkeiten oder gar zu Streitfragen. Da muss man nicht in die Ferne streifen und den Karikaturenstreit in Frankreich erwähnen; auch der Kippenberger-Frosch am Kreuz ist ein Beispiel dafür; und auch die diesjährige Ausstellung in Karthaus im Schnals hat Polemiken ausgelöst. Nirgends erregt die Kunst so viel Widerstand - und auf der anderen Seite mehr Aufmerksamkeit - als im kirchlichen oder religiösen Kontext! Ich bin überzeugt, dass gerade dort, wo Spannungen und Reibungen entstehen, auch das beste Umfeld für einen fruchtbaren Boden entstehen kann. Aber immer nur, wenn der Bogen auf beiden Seiten nicht überspannt wird, wenn das Gespräch nicht verweigert wird; wenn das Gespräch von beiden Seiten gesucht, gewollt und geführt wird.
Die Kirche braucht die Kunst in ihren breiten Facetten, weil sie sich den Themen der Zeit stellen muss, sich öffnen muss für Neues und Innovatives. Und umgekehrt braucht die Kunst die Kirche. Denn Kunst ohne Wertehaltung, Kunst ohne Einfühlungsvermögen, Kunst ohne Rücksicht auf die Gefühle der Menschen funktioniert auf die Dauer nicht. Letztendlich ist auch sie Vermittlerin, Brückenbauerin zu den Menschen. Sie muss den Menschen - gleich wie die Religion - leben helfen! Und darum geht es: Wir stehen im Dienst der Menschen oder, anders ausgedrückt, es muss uns um die Menschen gehen. Um es pointiert zu sagen: Kunst und Kirche haben den ganzen Menschen im Blick! Wir Menschen brauchen mehr als nur das Vordergründige, das Funktionale, das Materielle, das, was wir haben und konsumieren können. Wir brauchen mehr, weil wir mehr sind!
Der gemeinsame Nenner ist geblieben und dieser soll auch Ausgangspunkt unserer Gespräche sein. Ich wünsche mir, dass wir miteinander reden und voneinander lernen. Aus diesem Grund war mir das heutige Treffen ein persönliches Anliegen. Es soll in regelmäßigem Abstand immer am 18. Oktober stattfinden, dem Fest des hl. Evangelisten Lukas, nicht nur Patron der Ärzte, sondern auch Patron der Kunstmaler und - im weiteren Sinne - aller Kunstschaffenden der verschiedenen Kategorien.
Das letzte Wort an uns alle gebe ich Papst Franziskus, der am 27. September dieses Jahres vor der internationalen Vereinigung „Patrons of the Arts in the Vatican Museums“ gesagt hat: "Kunst war und ist ein Königsweg zum Glauben, mehr als viele Worte und Ideen es sind, weil sie mit dem Glauben den Sinn für Schönheit teilt". Große Kunst, so der Papst weiter, als Ausdruck des Glaubens zu betrachten, helfe den Menschen, "das wieder zu entdecken, was im Leben zählt". Und dann sein Wunsch: Christliche Kunst "führe jemanden in sich hinein und erhebe ihn gleichzeitig über sich hinaus".
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