Die diplomierte Theologin Katrin Geiger arbeitet als pädagogische Leiterin im Haus Marillac in Innsbruck. Geschlechtergerechtigkeit gehöre von Beginn an zum Wesenskern christlichen Lebens, sagte sie. Die Unterscheidung zwischen Geschlecht (Sex) und Gender helfe, die komplexen Verschränkungen als solche wahrzunehmen und besser zu verstehen.
Polemisierung vermeiden
Obwohl Gerechtigkeit ein zentrales Prinzip der katholischen Soziallehre ist, bleibe die Reflexion über Geschlechterverhältnisse und der damit verbundenen Geschlechtergerechtigkeit weitgehend auf der Strecke, unterstrich Katrin Geiger. Grundsätzlich gehe es darum, in allen Bereichen des Lebens die geschlechtsspezifischen Konsequenzen des Denkens und Handelns zu beachten und Entscheidungen entsprechend auszurichten. Nur dann könne es zu einer faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern kommen. Es gehe darum, in Freiheit, Wahrheit und Liebe zu miteinander zu sprechen und das Gegenüber so zu verstehen, wie er und sie verstanden werden möchte. Wichtig ist, Polemisierung zu vermeiden, wissenschaftliche, theologische und menschliche Standards zu achten und zu hören.
Unsicherheit schafft Identität – wenn man sich ihr stellt
Geschlechtsidentität (Gender) sei von der Geschlechterrolle zu unterscheiden, sagte Katrin Geiger. Geschlechterrollen sind das, was andere von uns erwarten, weil wir männlich oder weiblich sind. Geschlechtsidentität ist das, was wir selbst über unser Geschlecht wissen, unabhängig davon, was andere uns sagen. „Zwischen den Polen ‚weiblich’ und ‚männlich’ kommen diverse Zwischenstufen vor“, machte Katrin Geiger deutlich. Das irritiere, weil es die gewohnten Ein- und Zuordnungen erschwere: „Auf der anderen Seite erhöht es die Respektierung diverser Geschlechtlichkeiten und die Sensibilität für die Vielfalt und Einzigartigkeiten, die das menschliche Leben bereithält.“ Daraus formulierte die Referentin Identitätsfragen. Zuschreibungen an Mädchen oder Jungs, Frauen oder Männer müssten beleuchtet, erstarrte Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit überdacht und aufgebrochen werden. Das berge massive Verunsicherung in sich, fordere zu Selbstreflexion und Institutionsreflexion heraus und lade gleichzeitig zum Wachstum ein. Unsicherheit schaffe Identität, wenn man sich ihr stelle, betonte Geiger.
Gendertheorien leugnen Geschlechterdifferenz nicht
Der biologische Körper ist sozio-kulturellen Prägungen unterworfen, kommt unter den Bedingungen einer bestimmten Zeit zustande und muss weiterentwickelt werden. Gender ermögliche, Exklusionsstrukturen und Unrechtsmechanismen zu erkennen, sagte die Referentin. Die Unterscheidung von Geschlecht und Gender fordere auf individueller und gesellschaftlicher Ebene heraus. Gendertheorien leugnen die Geschlechterdifferenz nicht. Sie fragen kritisch an, bis zu welchem Punkt diese von der Natur vorgegeben sind und ab wann das soziokulturelle Geschlecht zu greifen beginnt.
Gendersensible Forschung
Gendersensible Forschung ziele darauf ab, Machtasymmetrien und Hierarchisierungen in ihrer Problematik sichtbar zu machen und wenn möglich aufzuheben, sagte Katrin Geiger. Institutionelle Macht wirke dabei genauso wie soziale Macht. Frauen würden wie Männer unter geschlechtertypischen Zuschreibungen leiden. Es gehe nicht um die Frauensache, sondern um ein gelingendes Miteinander. Das betreffe Frauen, Männer und all jene Menschen, die nicht in diese binäre Ordnung passen.
Zur Fortbildung „Gender – nur gefährliche Ideologie?“ der Diözese Bozen-Brixen und der Cusanus-Akademie in der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen waren Priester, Diakone und Laien eingeladen, die in der Seelsorge tätig sind.
In der Diözese hat Johanna Brunner das Thema aufgegriffen und gemeinsam mit der Cusanus-Akademie umgesetzt. Brunner leitet seit zwei Jahren das diözesane Amt für Ehe und Familie.