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Hirtenbriefe

"Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen"

Liebe Schwestern und Brüder in unserer Diözese Bozen-Brixen!

Wenn die Kirche Menschen öffentlich und feierlich zu Seligen und Heiligen erklärt, ist das Ausdruck unseres Osterglaubens: Menschen wie wir sind jetzt bei Gott; Menschen wie wir haben das Ziel erreicht, für das wir geschaffen und zu dem wir ein Leben lang unterwegs sind; Menschen wie wir haben so geglaubt und gelebt und sind so gestorben, dass Gott eine Biographie zu einer Hagiographie weiterschreiben konnte.

Das II. Vatikanische Konzil nennt als Ziel der Heiligenverehrung: Beispiel und Antrieb für uns, in allen Wechselfällen des Lebens „die künftige Stadt zu suchen“, die Einheit der ganzen Kirche zu erfahren und einzuüben und so zu Christus als der „Krone aller Heiligen“ zu gelangen (vgl. LG 50).


Heilige machen unseren Glauben konkret

Heilige sind Menschen, die das christliche Bekenntnis anschaulich, greifbar und konkret machen. Heilige verhindern, dass christlicher Glaube und christliches Bekenntnis zu einer bloßen Idee werden können. Das Wort ist Fleisch geworden, nicht Idee oder Theorie! Deswegen soll das christliche Bekenntnis nicht nur theoretisiert, sondern getan und gelebt werden! Heilige sind vergleichbar mit einem lebendigen Kommentar zum Leben Jesu und zu den einzelnen Seiten des Evangeliums. Kein Kommentar ist vollständig. In jedem Kommentar gibt es Einseitigkeiten und Übersetzungsschwierigkeiten. Heilige sind aber eine konkrete Ermutigung, den eigenen, persönlichen Kommentar zum Evangelium zu schreiben. Das ist der Lebensauftrag für Christen und Christinnen in der Nachfolge des gekreuzigten und auferstandenen Herrn.


Im Lebenskommentar unseres zukünftigen Seligen lesen

Durch die Seligsprechung von Josef Mayr-Nusser am 18. März 2017 im Dom von Bozen lädt uns die Kirche offiziell ein, im Lebenskommentar dieses Märtyrers zu lesen und diese „Lektüre“ fruchtbar zu machen für unseren eigenen Weg zur Heiligkeit, zu der wir durch die Taufe berufen sind.

Josef Mayr-Nusser hat uns Wichtiges und Entscheidendes zu sagen. In seinen Schriften begegnet uns ein Mensch, der im Glauben der Kirche beheimatet ist. Die Briefe, Ansprachen, Vorträge und Reden zeigen uns einen Christen, der versucht, die Welt, die Gesellschaft, den politisch-sozialen Auftrag der Christen, und nicht zuletzt das eigene Leben, aus dem Glauben heraus zu verstehen und zu deuten. Vor uns steht ein reifer und mündiger Christ, der sich mit Fragen des Glaubens auseinandersetzt, der das Verständnis des Glaubens durch Lektüre und Weiterbildung vertieft und konsequent darauf hinweist, dass Bekenntnis, Lebenseinstellung und Lebensführung nicht voneinander zu trennen sind.

Der Einsatz des Christen hat für ihn den theologischen Grund in der Tauf- und Firmberufung. In einem Artikel in der "Jugendwacht" vom 15. Jänner 1938 schreibt er: Ist durch die Taufe in uns Licht geworden, so sind wir durch die Firmung Lichtträger geworden, Beauftragte, das Licht leuchten zu lassen, Zeugnis zu geben vom Lichte ... Zeugnis geben ist heute unsere einzige, schlagkräftigste Waffe. Seltsam genug. Nicht Schwert, nicht Gewalt, nicht Geld, nicht einmal den Einfluss geistigen Könnens, geistiger Macht, nichts von all dem ist uns als unerlässlich geboten, um die Herrschaft Christi auf Erden aufzurichten. Etwas ganz Bescheidenes und doch viel Wichtigeres hat uns der Herr geboten: Zeugen zu sein.

In der Sitzung der Katholischen Aktion vom 25. August 1935 spricht er die Überzeugung aus, dass es notwendig sei, den treuen Katholiken unserer Zeit zu Bewusstsein zu bringen, dass es ihre Pflicht ist, in ihrem Kreis zu wirken als Apostel des Wortes sowohl als auch der Tat. Es gilt, jene bereits zur Tradition gewordene Passivität der Laien zu überwinden, die ganz im Gegensatz zum christlichen Altertum und Mittelalter sich jeglicher Verantwortung an der Durchdringung der Welt mit christlichem Geiste enthoben glaubt. Man hat sich zu sehr daran gewöhnt, sich nur mehr als Untertan der Kirche zu fühlen und alle Sorgen auf die Hirten zu werfen.

Vor uns steht ein überzeugter und überzeugender Christ, der Stellung bezieht und Farbe bekennt. Klarer Bezugspunkt seiner Spiritualität und seiner Aufforderung zum Bekenntnis und zum christlichen Einsatz ist Christus selber und - wie er sich ausdrückt - seine Königsherrschaft unter den Menschen: Für ihn kommt alles darauf an, Christus als Herrn und König anzuerkennen. So sagt er in einer Sitzung der Katholischen Aktion vom 23. Oktober 1935: Nur wenn der Einzelne, das Individuum, Christus als seinen Herrn anerkennt, wird es auch die Gesellschaft tun, die jeweils so denkt und handelt, wie der überwiegende Teil ihrer Einzelglieder denkt und handelt ... Christus soll herrschen nicht nur in den Einzelnen und in den Familien, Christus soll herrschen auch in den Staaten, im öffentlichen Leben!


Glaube ist ein Bekenntnis mit Konsequenzen

Klar ist sein Bekenntnis zu Ehe und Familie. In einem Vortrag für die Katholische Jugend (Ende 1938) sagt er: Gott hat die Familie zur Quelle neuen Lebens gemacht. Nicht bloß natürliches Leben, sondern auch geistiges, kulturelles Leben fließt aus der Familie … Die Familie ist in Gefahr. Die verschiedenen politischen Strömungen versuchen ein Weltbild aufzubauen unter Missachtung der Familie. Es sind Kräfte am Werk, die Bande der Familie zu lockern und zu zerstören … Der Abfall von der Familie wäre der Weg zum Tode.

Einprägsam bleibt sein klares Bekenntnis in einer dunklen Zeit (Schulungstagung für Jugendführer 1936): Führer - es ist dies das große Wort heute, das Schlagwort, das die Massen packt und fortreißt. Alles schwört heutigen Tags aufs Führertum; in allen Bereichen des menschlichen Lebens, nicht nur den politischen allein, ruft man nach dem Führer … Was wir heute an Führerkult miterleben, ist oft geradezu Götzendienst…Heute gilt es, den Massen wieder jenen Führer aufzuzeigen, der allein das Recht auf ganze, uneingeschränkte Herrschaft und Führung hat - CHRISTUS, unser Führer. Und dann spricht er von zwei großen Fronten, die sich immer deutlicher bilden: die eine, deren Wahlspruch lautet: Die Welt für Christus, und die andere, die Satan als ihrem obersten Führer huldigt.

Als reife Früchte seiner Glaubensüberzeugung können vor allem die Briefe gelten, die Josef Mayr-Nusser aus der Gefangenschaft in Konitz bei Danzig an seine Frau Hildegard richtet. Im Brief vom 27. September 1944 steht ein Christ vor uns, der um seine vom Glauben getragene Entscheidung ringt und der sich durchringt zu einem persönlichen Glaubensbekenntnis gegenüber einem antichristlichen und menschenverachtenden System. Er schreibt: Dass ich Dich, treueste Gefährtin, durch mein Bekenntnis im entscheidenden Moment vielleicht auch noch in zeitliches Unglück stürze, das nagt am schwersten an meinem Herzen. Dieses Bekennenmüssen wird sicher kommen, es ist unausbleiblich, denn zwei Welten stoßen aufeinander. Zu deutlich haben sich Vorgesetzte als entschiedene Verneiner und Hasser dessen gezeigt, was uns Katholiken heilig und unantastbar ist. Bete für mich, Hildegard, damit ich in der Stunde der Bewährung ohne Furcht und Zögern so handle, wie ich es vor Gott und meinem Gewissen schuldig bin.

Josef Mayr-Nusser ist eine markante und aktuelle Persönlichkeit. Lesen wir in seinem Lebens- und Glaubenskommentar und bitten wir ihn, dass wir als Christen und Christinnen unseren Kommentar schreiben können zum Evangelium Jesu - auf dem Hintergrund unserer Zeit und unserer Gesellschaft mit ihren Herausforderungen und Chancen, mit ihren lichtvollen Seiten und ihren blinden Flecken. Möge dieser glaubwürdige, herausfordernde und unbequeme Christ uns auch helfen, uns einem schmerzlichen und leidvollen Kapitel unserer Südtiroler Geschichte mit Faschismus, Nationalsozialismus und Option zu stellen - in der Haltung von Ehrlichkeit und Versöhnung.

Mit diesem Hirtenbrief lade ich alle ein, sich in den Pfarrgemeinden, im Religionsunterricht, in den Verbänden, in Vorträgen und Diskussionsrunden, in den Gottesdiensten und bei Predigten - und nicht zuletzt persönlich und in unseren Familien mit dem eindrucksvollen Lebenskommentar von Josef Mayr-Nusser zu beschäftigen. Mögen die Werte, die er gelebt hat und für die er gestorben ist, unter uns lebendig werden. Das ist Auftrag und Geschenk seiner Seligsprechung.

Ich bin euch allen herzlich verbunden in der großen Gemeinschaft der Heiligen und im Glauben an die Auferstehung und an das Ewige Leben,

Euer Bischof

+ Ivo Muser