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Pressemitteilungen 2020

Langjähriger Arbeiterkaplan Italo Tonidandel verstorben

Im Alter von 94 Jahren ist in den Ostertagen der Trentiner Priester Don Italo Tonidandel verstorben. Er wirkte über fünf Jahrzehnte als Arbeiterkaplan in der Diözese Bozen-Brixen.

Italo Tonidandel wurde am 3. November 1925 in Fai im Trentino geboren und am 29. Juni 1950 in Trient zum Priester geweiht. Zwischen 1950 und 1955 wirkte er als Kooperator in Oltresarca bei Arco und in „S. Giovanni Bosco“/Bozen. Von 1955 bis 1965 war er geistlicher Assistent der ACLI in Südtirol und zugleich bis 1966 Kaplan der Bergarbeiter. Von 1966 bis 2007 wirkte er als Arbeiterkaplan. Im Jahr 2007 wurde Tonidandel von seinem Auftrag als Kaplan entbunden. In den letzten Jahren wohnte er in der „Casa del clero“ in Trient. Don Tonidandel wird in seinem Geburtsort Fai beigesetzt.

Seelsorger und Sozialhelfer der Schneeberger Knappen | Nachruf von Hermann Schölzhorn

Am Ostersonntag verstarb in hohem Alter der Seelsorger Don Italo Tonidandel. Er erblickte am 3. November 1925 in Fae della Paganella das Licht der Welt, wurde am 29. Juni 1950 zum Priester geweiht und kam 1953 nach Bozen.

In den 1950er und 1960er Jahren waren in Südtirol an die 2000 bis 3000 Arbeiter, zum Großteil aus den verschiedenen Regionen Italiens,  in unseren Bergwerken aber vor allem auch beim Bau von Anlagen zur Gewinnung elektrischer Energie im Ulten- und Martelltal, im Schnals-, im Sarn- und Ahrntal , in Graun im Vinschgau und anderen  Bergtälern beschäftigt. Sie lebten vielfach nur in einfachen Baracken unweit der Baustelle, und Bischof Josef Gargitter bedrückte in erster Linie die Situation, dass diese beachtliche Arbeiterschicht  ihr Leben ohne geistlichen Beistand fristete. Nach langen Bemühungen fand er endlich zuerst bei Don Giorgio Cristofolini und nun ab 1953 bei Don Italo Tonidandel zwei Seelsorger, die sich mit begeistertem Einsatz dieser großen Herausforderung stellten. Man darf festhalten, dass beide Priester die wahrhaftige Umsetzung der Lehre Christi als innersten Auftrag in ihrem Leben verspürten, d.h. ein Leben der Barmherzigkeit, der Nächstenliebe, der Solidarität, der christlichen und sozialen Begleitung vor allem der ärmeren und schwächeren Bevölkerungsschicht zu führen. Und so versuchten nun beide  die vielen Arbeiter auf den  Baustellen des Bergbaus, der hydrologischen Bauwerke, des Tunnelbaus für Eisenbahn und Autobahn zumindest alle 14 Tage zu besuchen und mit ihnen gemeinsam eine Messe, meistens direkt in den Tunnels oder auf den Baustellen, zu feiern.

Am 19. März 1955, kam Don Italo erstmals von Ridnaun aus auf den Schneeberg, auf 2.350 m Meereshöhe. Er verspürte ziemliche Angst, denn man schilderte ihm das Bergvolk als eine Gruppe von harten Männern, von Bösewichten, Fluchern, Delinquenten, ja sogar Gotteslästerern. Er hatte auch gar kein Konzept, wie er derartigen Menschen begegnen sollte. Umso größer war seine Überraschung, als er dann sehr einfachen und im Grunde guten und hilfsbereiten Männern begegnete. Bis 1965 versah er den Dienst für die rund 350 - 400 Knappen am Schneeberg und in Maiern alle 14 Tage abwechselnd mit Don Giorgio Cristofolini, ab 1965 bis zur Schließung des Bergwerkes 1985 alleine. Die Bergwerksleitung erlaubte ihm grundsätzlich am Samstag die Strecke von Maiern nach St. Martin auf der Materialseilbahn zurückzulegen. Am darauffolgenden Sonntag hielt er um 10.00 Uhr die Hl. Messe im Kirchlein Maria Schnee und begab sich dann meist in Begleitung eines Knappen am Nachmittag zu Fuß oder im Winter auf Schiern nach Maiern, um dort um 17.00 Uhr in der Barbarakapelle oder später in der Mensa des Arbeiterwohnhauses für die in der Erzaufbereitung beschäftigten Arbeiter und deren Familien die Hl. Messe zu feiern.

Beide Seelsorger gewannen bald durch ihre unermüdliche Hilfsbereitschaft das tiefste Vertrauen der Bergleute, hatten diese nun doch einen Ansprechpartner gefunden, dem sie in der Abgeschiedenheit des Schneeberges und entfernt von ihren Familien ihre vielfältigen Anliegen vorbringen konnten. So entwickelte sich der Einsatz der beiden Priester neben der Seelsorge zu einer umfassenden Sozialfürsorge für die Arbeiter. In diesem Bereich waren beide durch ihre Tätigkeit beim ACLI in Bozen versierte Fachleute, denen man durch ihr Fachwissen und ihre vielseitigen Kontakte auch den nötigen Respekt seitens der Firmenleitung und der öffentlichen Ämter entgegenbrachte. Unter anderem erwirkte Don Italo bald eine Verbesserung der Wohnverhältnisse der Knappen, sodass während des Winters die Schlafräume einigermaßen geheizt, die einfachen Stockbetten neben den Decken auch mit Leintüchern versehen und die Schlafsäle einigermaßen in Ordnung gehalten, gelüftet und gereinigt wurden. Um den Knappen etwas Unterhaltung zu bieten, setzte er wieder „das Kino“ in Betrieb, da das Knappendorf schon in der Zeit des Faschismus mit einem Filmprojektor ausgestattet wurde. Die Filme tauschte er alle 14 Tage aus und musste diese anfangs sogar in Padua abholen.  Bereits 1957/58 gelang es auch, das Knappendorf mit einem der ersten  Fernsehgeräte auszustatten.

Beide Seelsorger erkannten schon gleich den Wert und die Vorteile der Autonomie Südtirols für die gesamte Bevölkerung und achteten stark auf das friedliche Miteinander der verschiedenen Sprachgruppen. So kam es in dieser Hinsicht im Bergwerk Schneeberg kaum zu nennenswerten Konflikten.

Der Großteil der Bergwerksbelegschaft litt an Silikose. Gerade diesbezüglich veranlassten beide Seelsorger häufig die nötigen ärztlichen Untersuchungen, begleiteten so manchen Knappen  persönlich ins Krankenhaus in Bozen und sorgten für die Aufnahme und oft Monate lange Pflege und Betreuung derselben in den Lungenanstalten von Brixen und Padua sowie die entsprechende Einstufung der an Silikose erkrankten oder durch Unfall geschädigten Personen als Teil- bzw. Vollinvaliden mit Auszahlung der entsprechenden Invaliden- und Altersrenten. Dafür bedurfte es damals konsequenten und energischen Einsatz.

Natürlich wurden die beiden Seelsorger auch zu allen schweren und tödlichen Unfällen gerufen. In den 1950-er, 1960-er und auch 1970-er Jahren waren es laut Aussage von Don Italo auf den zahlreichen oben genannten Baustellen an die 150 – 200, manchmal mit mehreren Toten gleichzeitig. Es war ihnen ein großes Anliegen, mit den Familienangehörigen in Kontakt zu treten bzw. sie direkt zu besuchen, auch wenn sie oft weit entfernt wohnten, und ihnen allen nötigen Beistand zukommen zu lassen. In erster Linie bemühten sie sich, dass den Hinterbliebenen innerhalb kurzer Zeit, und das war damals sehr schwierig, eine angemessene Hinterbliebenenrente ausbezahlt wurde.

Das Zutrauen und die Anliegen der Knappen steigerten sich von Jahr zu Jahr. Wie Don Italo erzählte, kam es vor, dass er nach der Messfeier am Schneeberg mit bis zu 40 Monatslöhnen, die ihm die Knappen anvertrauten,  zurückkehrte, um das Geld den entfernt wohnenden Familien auf dem Postwege zukommen zu lassen. Weitere Hilfeleistungen bestanden in der Besorgung von Kleidungsstücken von der Unterwäsche bis zur Jacke. Er erwarb sie in bestimmten Geschäften in Bozen, bei denen er mit der Zeit beachtliche Preisnachlässe erzielte. Er brachte hunderte von Arbeitsbüchlein der Bergleute zum periodischen Abstempeln zum Arbeitsamt in Brixen, er bemühte sich intensiv um den gesetzmäßigen und rechtzeitigen Bezug von Invaliden- und Altersrenten, die gesetzlich vorgesehene Unterstützung im Falle von Krankheiten und Unfällen, um die Beschaffung von Arbeitsplätzen für weitere Familienmitglieder auch bei anderen Unternehmen, um Unterstützungsmaßnahmen für die  Bergarbeiterkinder beim Besuch von Oberschulen, Zuweisung von Unterkünften in Schülerheimen und vielen weiteren Belangen in verschiedenen Lebenssituationen. Sehr häufig wurde ihnen von Analphabeten, vorwiegend aus dem Süden Italiens stammend,  das Lesen und Schreiben von Briefen anvertraut. So behauptete behauptete Don Italo einmal mit leichtem Schmunzeln, es gäbe bestimmt nur wenige  Männer, die so viele Liebesbriefe gelesen und geschrieben hätten wie er.

Zu zwei besonderen Freudentagen gestaltete Don Italo, anfangs gemeinsam mit Don Giorgio und später alleine, jedes Jahr den Barbaratag und die Heilige Nacht. Dabei sollten die Bergleute und sogar auch ihre Familien beschenkt werden. Er organisierte dafür hauptsächlich in Bozen eine Art Sammelaktion. Er selbst und weitere Helfer zogen von Geschäft zu Geschäft und zu größeren Firmen, um verschiedenste Gratisartikel und Spenden zu erbitten, die dann an den genannten Tagen an die Knappen verteilt wurden. Dabei verfolgte man am Barbaratag ein gezieltes Vorgehen. Die Geschenke wurden in von der Bergwerksfirma bereitgestellten Säcken bewusst nach Größe und Zusammensetzung der Familie des jeweiligen Knappen gefüllt, damit sicher für jedes Familienmitglied ein Gabe im Sack war,  während in der Hl. Nacht nach der Mitternachtsmette in Maiern eine Art Verlosung vorgenommen wurde, bei welcher  jedes Los ein Treffer war. Besonders für die Bergleute des Tales mit ihren Ehepartnern und Kindern war es ohne Zweifel das schönste Fest und die längste Nacht des Jahres. Schon mehrere Tage vorher versuchten die Kinder Lose zu  jeweils einem minimalen Geldbetrag zu ergattern, um bei der spannenden Verlosung, bei der die Mensa im Arbeiterwohnhaus die Teilnehmer kaum fassen konnte, möglichst viele schöne Geschenke gewinnen zu können. Besonders begehrt waren damals schön gekleidete Puppen in natürlicher Größe, die so mancher Knappe bis heute aufbewahrt hat. Häufig zog sich die Feier bis zu den Morgenstunden hin, und bei der Spannung und Freude blieben auch die Kinder bis dahin hell wach.

Wenn auch das Bergwerk 1985 geschlossen wurde, stand Don Italo für die Anliegen der Knappen bei Anfragen weiterhin bereit. Solange es seine Gesundheit erlaubte, kam er gerne bis zum Jahre 2013 zum jährlichen vom Bergbaumuseum in Ridnaun organisierten Bergmannsfest, gestaltete den Festgottesdienst mit und richtete eine bewegte, tiefsinnige Predigt an die noch lebenden Knappen und die Festgäste. Ergreifend dabei war für alle Teilnehmer, dass ihm und so manchem Knappen dabei stets die Tränen kamen, er die Bergleute und Bekannten aufs herzlichste begrüßte, umarmte und in ihnen tiefste Emotionen auslöste. Sie waren wirklich, wie es Don Giorgio Cristofolini gerne auszudrücken pflegte, zu einer vertrauten Familie zusammen gewachsen.

Bei oben genannten Anlässen unterhielt ich mich häufig mit Don Italo. Er beteuerte wiederholt, dass er auch jetzt im Nachhinein Gott immer wieder danke, ihm die Kraft verliehen zu haben, die Bergknappen und viele andere Bedürftige auf ihrem harten Weg begleitet haben zu dürfen. Er habe sich in Gemeinschaft mit ihnen so wohl gefühlt. Weit entfernt von ihren Familien, in der isolierten Gebirgsregion waren diese einfachen Männer mehr oder weniger auf sich allein gestellt und sehnten sich so sehr nach Mitgefühl, Verständnis, Entgegenkommen, menschliche Nähe, Solidarität und Unterstützung, die Sie von kaum jemand anderem erfahren haben als von den „Bergwerkspfarrern“.  Das Zutrauen und die Dankbarkeit der vielen Bergleute hätten ihm so viel Freude, Genugtuung und Glück beschert, dass er heute mit großer Zufriedenheit und Dankbarkeit auf die harte Zeit am Schneeberg zurückblicke.

Die letzten Jahre verbrachte Don Italo Tonidandel im Haus des Klerus in Trient. Gerne hätten wir mit ihm im kommenden Juni sein 70. Priesterjubiläum gefeiert, doch Gott der Herr hat ihn just am Tag der Auferstehung zu sich gerufen. Die Knappenfamilien des Schneeberges und sicher auch viele weitere Arbeiterfamilien in Südtirol fühlen sich zu großem Dank verpflichtet und bewahren ihm ein ehrendes Gedenken. Möge ihm Gott sein außergewöhnliches, hilfsbereites Wirken vergelten. Er ruhe in Frieden und Freude.

 

Er ruhe in Frieden und Freude.

Hermann Schölzhorn, im Namen des Knappenvereins Ridnaun-Schneeberg