15 Jahre sind vergangen, seitdem der Aldeiner Missionar Luis Lintner in Brasilien auf offener Straße erschossen wurde. Es waren wohl sein Einsatz für die Armen und seine Kritik an den Machthabern, die ihn am 16. Mai 2002 das Leben gekostet hatte. Die Hintergründe der Tat sind bis heute ungeklärt. Am 13., 14. und 16. Mai erinnern sich Verwandte, Weggefährten und die Kirche Südtirols bei drei Gottesdiensten in Bozen, Weißenstein und Aldein an den ermordeten Diözesanpriester. Auch Jugendliche aus der „Casa do Sol“ in Salvador de Bahia kommen nach Südtirol, um ihres Freundes zu gedenken.
22 Jahre lang arbeitete Luis Lintner als Priester und Missionar in Brasilien: von 1980 bis 1991 in der Pfarrei Tabocas und von 1992 bis 2002 in den Favelas von Salvador de Bahia. Davor wirkte er sieben Jahre lang als Jugendseelsorger in der Lichtenburg in Nals und fünf Jahre als Kooperator in Nals, Tiers, Terlan und Naturns.
Bei drei Gottesdiensten gedenken Angehörige und Freunde des am 16. Mai 2002 in Brasilien erschossenen Missionars Luis Lintner aus Aldein:
- am Samstag, 13. Mai, um 18 Uhr im Bozner Dom; P. Martin M. Lintner wird dem Gottesdienst vorstehen; im Anschluss findet eine Diskussionsrunde auf dem Domplatz mit den Gästen aus Brasilien statt;
- am Sonntag, 14. Mai, um 16 Uhr in Maria Weißenstein; Bischof Ivo Muser wird dieser Feier vorstehen;
- am Dienstag, 16. Mai, um 10 Uhr in der Pfarrkirche von Aldein, mit Robert Anhof; anschließend Grabbesuch auf dem Ortsfriedhof.
Der Neffe von Luis Lintner, P. Martin M. Lintner, ist die Authentizität des Onkels in besonderer Erinnerung geblieben: „Luis lebte das, was er predigte.“ Luis Lintner sei ein ruhiger, tiefsinniger und überlegter Mensch gewesen, erzählt P. Martin Lintner. Er sei den Menschen auf Augenhöhe begegnet, ihre Würde für ihn unantastbar gewesen. So habe der Missionar für obdachlose Menschen genauso ein offenes Ohr gehabt wie für alleinerziehende Frauen und solche, die Gewalt erlebten. Er setzte sich für junge Leute aus den Armenvierteln ein, die sich wegen fehlender Arbeit prostituierten oder mit Drogen handelten.
Pina Rabbiosi aus Sondrio hat 21 Jahre lang mit Luis Lintner in Brasilien gearbeitet. Sie hat ihn unter anderem beim Bau des Sozialzentrums „Casa do Sol“ in der Favela Cajazeiras in Salvador de Bahia unterstützt. Dieses konnte er unter anderem mit Südtiroler Hilfe realisieren. Nach seinem Tod am 16. Mai 2002 hat Pina Rabbiosi seine Arbeit 13 Jahre lang fortgeführt. Inzwischen lebt sie wieder in Italien, besucht die Menschen in Brasilien aber jährlich. Rund 100 Kinder können in der „Casa do Sol“ den Kindergarten und die Vorschule besuchen.
Karl Leiter aus Wiesen Pfitsch hat Luis Lintner in den 1980er-Jahren kennengelernt: „Vor allem die ersten Jahre in Brasilien waren nicht einfach für Luis Lintner“, sagt Leiter, der die oew-Organisation für Eine solidarische Welt und das Haus der Solidarität (HdS) in Brixen mit gegründet hat. Luis Lintner wurde nur wenige Monate vor der Eröffnung des HdS erschossen. Als die Todesnachricht kam, habe sich der Vereinsvorstand des HdS schnell darauf geeinigt, der Sozialeinrichtung den Namen des Verstorbenen zu geben: „Wir wollten, dass seine Kraft bei uns wirkt.“ Im HdS finden zwischen 30 und 40 Menschen in schwierigen Lebenssituationen vorübergehend Unterkunft und Zukunftsperspektiven. In Luis Lintner hat Leiter einen Menschen mit Visionen kennengelernt, der mit seiner Erfahrung aus dem globalen Süden in Südtirol ernstgenommen wurde, „während wir anderen oft als Weltverbesserer dargestellt wurden, die ihr Wissen nur aus Büchern holen würden“, so Karl Leiter.
Bei seinen Heimatbesuchen hat Luis Lintner immer wieder radikale Veränderungen gefordert: Die Veränderungen müssten im reichen Norden der Welt stattfinden und seien nicht vom Süden zu erwarten, erklärte der Missionar den Politikern und Priesterkollegen. Sein Einsatz trug unter anderem auch dazu bei, dass in Südtirol im Spätsommer 1991 das Gesetz zur Entwicklungszusammenarbeit verabschiedet wurde.
Luis Lintner habe unter seinen hehren Zielen und Ansprüchen auch gelitten, ist Karl Leiter vom HdS überzeugt. Das Leben in Brasilien gestaltete sich nicht immer so, wie er sich das bei seinem Fortgang aus Südtirol 1980 gewünscht hatte. Er wurde von Menschen enttäuscht; auch die Basisgemeinden, in die er viel Hoffnung gesetzt hatte, funktionierten nicht überall wie erwartet.
Filmemacher und Ständige Diakon Wolfgang Penn aus Kastelruth hat den Missionar bei Dreharbeiten in Brasilien getroffen. Die Favela „Golfo Persico“ in der Pfarrei von Luis Lintner war aufgrund einer Landbesetzung erst wenige Wochen zuvor entstanden. Auf die Frage, wie es ihm dabei gehe, im sicheren Pfarrhaus zu wohnen, während die Menschen unten am Bach im Dreck hausen mussten, meinte er nachdenklich, die Leute würden nicht von ihm verlangen, mit ihnen dort zu leben, wohl aber, dass er ihnen helfe, da rauszukommen: „Wenn ich oben auf festem Grund bin, kann ich ihnen leichter die Hand reichen, um sie aus dem Sumpf herauszuziehen“, erklärte Luis Lintner dem heutigen Leiter des diözesanen Missionsamtes.
Angehörige und Weggefährten von Luis Lintner sind sich einig, dass der Aldeiner Missionar der Südtiroler Gesellschaft auch 15 Jahre nach seinem Tod viel zu sagen hat. So meint Karl Leiter: „Luis hielt nichts vom heute omnipräsenten Wunsch, sich immer und überall abzusichern.“ Der Priester und Missionar habe sich auf ungewohnte Lebenssituationen eingelassen und auf neue Menschen eingestellt. Die Botschaften des Verstorbenen seien auch unangenehm, ergänzt P. Martin Lintner und spricht das Fluchtthema an: „Luis würde uns auffordern, uns nicht in unser Schneckenhaus zurückzuziehen.“ Er hätte sich von den eingewanderten Menschen bewegen lassen, Schritte auf sie zu gemacht und sie in die Gesellschaft hereingeholt. Luis Lintner habe eine Kirche mit den Armen und nicht eine Kirche für die Armen gelebt. Damit fordere er Südtirols Kirche und Gesellschaft nach wie vor heraus, ist der Ordenspriester überzeugt.