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Predigten

Söllerpredigt

Wer durch unser Land Tirol südlich und nördlich des Brenners fährt oder wandert, kommt an vielen Kirchen, Kapellen und Bildstöcken vorbei. Und wer dabei herausfinden will, welche Heiligen auf Bildern und Statuen dargestellt sind, muss die Attribute kennen, die die christliche Kunst ihnen im Laufe der Jahrhunderte gegeben hat. Diese Erkennungszeichen sagen etwas aus über das Leben, über die Aufgabe oder über den Tod der betreffenden Heiligen. So erkennen wir Petrus an seinem Schlüssel, Paulus an seinem Schwert, den Evangelisten Johannes an seinem Adler, Barbara an ihrem Turm, Sebastian an seinen Pfeilen. Die Bauernmagd Notburga, die uns heute in so großer Zahl hier in Eben am Achensee zusammengeführt hat und deren Festtag heuer zu ihrem 700. Todestag eine ganz besondere Bedeutung hat, erkennen wir an ihrer Sichel.Notburga, unsere gemeinsame Tiroler Heilige mit einer Sichel in der Hand, erinnert uns daran, dass der Mensch ein Recht auf den Feierabend hat. Der Mensch ist mehr als nur Arbeit, Leistung, Produktivität und Effizienz – und er darf nicht darauf reduziert werden. Der Mensch ist größer und wichtiger als alles, was er leisten, tun, erarbeiten, erwirtschaften und schaffen kann. Das Sein kommt immer vor dem Tun und vor dem Haben! So möchte ich den Festtag der hl. Notburga jetzt zum Anlass nehmen, um mit Euch nachzudenken über die Verantwortung, die wir als Christen und als Kirche dem Leben gegenüber haben. Unsere Einstellung zum Leben zeigt sich zunächst in unserem Verhalten gegenüber der Natur, die für Christen Gottes Schöpfung ist. Der christliche Glaube ist ein Glaube, der diese Erde liebt. Dieser Glaube bekennt, dass die Welt, die uns umgibt, ihr Entstehen nicht einem blinden Zufall verdankt, sondern einem guten Schöpfer, der sie gewollt und für gut befunden hat. So lässt uns dieser Glaube die religiöse Dimension dieser Welt sehen und er gibt uns auch eine Grundorientierung für das menschliche Handeln gegenüber der Schöpfung.Menschen, auch Christen, haben sich schuldig gemacht am Plan Gottes für diese Welt – und nicht selten haben Menschen ihren Raubbau gegenüber der Natur sogar zu rechtfertigen versucht mit dem Hinweis auf den Schöpfungsauftrag der Hl. Schrift. An Gott den Schöpfer glauben, heißt wieder staunen lernen vor den Wundern der Natur – und gerade wir in Tirol dürfen in einem begnadeten Flecken von Gottes Schöpfung leben, der uns das Staunen wirklich nicht schwer macht. Die Schöpfung verdient Ehrfurcht und Respekt. Wenn wir Menschen leben und überleben wollen, müssen wir wieder Grenzen anerkennen und endlich wieder einsehen, dass wir nicht alles tun dürfen, was wir tun können. Unser Land braucht aufmerksame, staunende und ehrfürchtige Menschen, die auch bereit sind, einen neuen Lebensstil anzunehmen. Es stimmt nämlich nicht, dass die Maßnahmen der Einzelnen nichts nützen: Wir müssen nur ernst machen mit dem biblischen Glauben an den guten Schöpfer und den Mut aufbringen, das eigene Fehlverhalten gegenüber der Schöpfung nicht länger zu entschuldigen mit dem Hinweis auf das Fehlverhalten der anderen. Es wäre so wichtig, dass es heute Menschen gibt, die – um es im Blick auf die hl. Notburga zu sagen – die Sichel im richtigen Augenblick aus der Hand geben, und die das Innehalten, das Staunen, die Dankbarkeit und nicht zuletzt den Lobpreis und die Anbetung des Schöpfers pflegen und fördern. Unsere Einstellung zum Leben zeigt sich dann vor allem, wenn es um den Wert und die Würde des menschlichen Lebens geht. Von vielen Wertvorstellungen wird uns heute oft ein verzerrtes Bild vom Leben und vom Menschen gezeigt: Nur der gesunde, der attraktive, der sportliche und leistungsfähige Mensch kommt dort vor. Der Wert des Lebens und des Menschen wird nicht selten danach bemessen, was Menschen haben und können, was sie bieten, was sie aufweisen und was sie leisten.Der christliche Glaube sieht das Leben aber zuerst als ein Geschenk und als einen Auftrag Gottes an. Beim alttestamentlichen Propheten Jesaja gibt es ein wunderbares Bild. Da sagt Gott zum Menschen: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“ (vgl. Jes 45,4). Gott kennt den Namen eines jeden und einer jeden von uns. So groß denkt Gott selber vom Menschen. Das Leben hat immer mit Gott zu tun! Die Sorge für das Leben gilt heute in besonderer Weise dem ungeborenen, menschlichen Leben, dem unsere modernen Staaten nicht mehr den nötigen Schutz gewähren. Das Leben eines alten oder schwerkranken Menschen muss unantastbar bleiben wie auch das behinderte Leben. Wir tragen Verantwortung für das Leben der Menschen in der eigenen Umgebung, wie wir auch dafür verantwortlich sind, dass kommende Generationen eine Umwelt vorfinden, in der sie noch leben können. Gastfreundschaft darf sich nicht nur berechnend auf Touristen beschränken. Es braucht ein Gespür für all jene Menschen, die nicht nur als finanzstarke Gäste in unser Land kommen. Wir können uns nicht der Verantwortung entziehen gegenüber all jenen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind: auf unsere materielle Hilfe und oft noch mehr auf unsere menschliche Anteilnahme. Unsere Einstellung zu einzelnen Menschen und zu Menschengruppen, ja oft sogar zu ganzen Völkern, beginnt immer in unseren Köpfen. Es ist nicht neutral, wie wir über andere denken und reden. Unser Denken prägt uns und unsere Sprache verrät uns immer. Und es besteht ein ganz enger Zusammenhang zwischen unserem Denken, Reden und Tun. Wo Kinder das Teilen lernen; wo Kinder schon in der eigenen Familie lernen, Konflikte gewaltlos zu lösen und dass das oberste Gesetz menschlichen Lebens nicht darin besteht, Härte zu zeigen und sich um jeden Preis durchzusetzen; wo junge Menschen bei ihren eigenen Eltern die Erfahrung machen dürfen, dass es auch noch andere Werte gibt als den Betrieb und das Geld; wo junge Menschen erleben dürfen, dass es sich lohnt, eine Familie zu gründen und Kindern das Leben zu schenken; wo junge Paare mit mehr Kindern nicht benachteiligt oder gar als rückständig belächelt werden, sondern wo ihnen ausdrücklich gedankt wird für ihren Mut zum Kind; wo Menschen bereit sind, auch Berufe zu wählen und auszuüben im sozialen und karitativen Bereich; wo geistliche Berufe gewollt und gefördert werden; wo alte und kranke Menschen erfahren dürfen, dass sie noch wertvoll sind für ein Haus und die menschliche Gesellschaft; wo Ehen und Familien in Krise gestützt werden; wo Menschen mit gescheiterten Beziehungen nicht allein gelassen werden; wo schwierige Menschen ausgehalten werden; wo Menschen füreinander Worte der Lebensbejahung und der Lebensermutigung haben – dort entsteht in Ansätzen eine Kultur des Lebens, der Achtsamkeit, des Respekts, der Wertschätzung, eine Atmosphäre, in der das Leben in all seinen Formen und in all seinem Reichtum gewollt, angenommen, gefördert, geschützt und geliebt wird. Zu einer solchen Kultur des Lebens gehört auch die Bereitschaft, den Frieden zu lernen und einzuüben. Uns alle belastet manchmal die Frage, was wir schon tun können, wenn es um den Frieden in den großen Krisen- und Kriegsgebieten unserer Welt geht. Niemand von uns aber findet so leicht Entschuldigungsgründe, wenn es um den Frieden geht in der eigenen Ehe und Familie, in der eigenen Nachbarschaft, am eigenen Arbeitsplatz, in der eigenen Verwandtschaft, in der eigenen politischen Gemeinde oder in der eigenen Pfarrgemeinde. Dort können wir alle – konkret und Tag für Tag - Friedensstifter/innen oder Friedensvergifter/innen sein. Mit dem Bekenntnis zum Leben in all seinen Formen und mit der Freude am Leben können wir glaubwürdig unsere Stimme erheben für all das, was das Leben fördert, und gegen eine weitverbreitete Lebensunlust, gegen übertriebene Zukunftsangst und auch gegen die Anmaßung, selbst über das Leben verfügen zu dürfen. Und diese mutige Stimme tut uns und unserem Land gut. Eine ganz besondere Bedeutung für unsere Einstellung zum Leben und für unser Bemühen um den Dienst am Leben hat die Feier des Sonntags. Die Aktualität der hl. Notburga, auch 700 Jahre nach ihrem Tod, liegt nicht zuletzt darin: Sie ist die Heilige, die uns einlädt, den Sonntag wieder neu zu lernen, zu feiern und zu heiligen. Der Sonntag bedeutet: Die Woche beginnt mit dem heiligen Tag, nicht mit der Arbeit. Längst bevor wir etwas leisten, leben wir schon. Das Wichtigste im Leben können wir nicht selber machen oder herstellen oder verdienen, es ist uns geschenkt. Das Leben selbst ist uns geschenkt. Wir verdanken uns Gott, wir sind von ihm bejaht. Dafür steht Jesus Christus, der Auferstandene. Deshalb ist der Sonntag uns Christen heilig. Er ist nicht irgendein freier Tag, den man nach Belieben in der Woche herum schieben kann. Er steht am Anfang, vor allen anderen Tagen. Er ist ein Vorzeichen vor dem Ganzen. Er ist eine Vorgabe Gottes, die dem Leben Richtung gibt: Im Zeichen der Auferstehung geht der Weg vom Tod zum Leben. Den Sonntag feiern, heiligen, gestalten, hochhalten und verteidigen – zur Ehre Gottes und uns Menschen zum Segen! Das wäre eine ganz besonders aktuelle Form, um uns in diesem Jubiläumsjahr an Notburga zu erinnern und sie zu verehren. Notburga braucht heute viele Verbündete für ihr großes Anliegen einer gelebten Sonntagsheiligung und Sonntagskultur. Hl. Notburga, hilf uns, dass wir uns mutig und konsequent in den Dienst des Lebens stellen. Erbitte uns „neue Augen“, damit wir persönlich und auch als Gemeinschaft und Gesellschaft wieder erkennen, was uns im Sonntag geschenkt ist. Bitte für uns und unser Land!