Die Flüchtlingsfrage und die Debatte über die Bettelverbote, die Südtirol zurzeit beschäftigen, zeigen, wie aktuell die Visionen der Synode sind. Wie kann Südtirol immer mehr zu einem hilfsbereiten Land werden? Welchen Beitrag hat hier die Kirche zu leisten? Und: was bedeutet es in dieser Situation, den überlieferten Glauben an den Gott der Liebe zu vertiefen und weiterzutragen? Mit diesen Themen beschäftigen sich die Visionspapiere, die heute auf der Webseite der Diözesansynode veröffentlicht wurden. Als im Jänner die Visionspapiere verabschiedet wurden, war noch nicht deutlich, welche Dimensionen die Thematik der gelebten Nächstenliebe im Lauf des Jahres annehmen würde. Noch während der Redaktionsarbeit an den Texten, die heute veröffentlicht wurden, hat die Wirklichkeit bestätigt, wie aktuell die Frage der Hilfsbereitschaft und der Solidarität mit den Armen und Schwachen für Kirche und Gesellschaft in Südtirol ist. „Ein Großteil der Synodentexte beschäftigt sich mit diesen konkreten Fragen des Lebens der Menschen“, erklärt Reinhard Demetz, Sekretär der Synode. „Hier liegt die eigentliche Mitte dieser Synode, und nicht so sehr in den sogenannten heißen Themen.“
Tätige Nächstenliebe stärkenDer Verständnisschlüssel zum Visionspapier zur tätigen Nächstenliebe findet sich in der ersten Fußnote: „Das Dokument beschreibt nicht die Utopie und nicht die Wirklichkeit, sondern ein Dazwischen: eben eine Vision.“ Die Mitte dieser Vision und damit das Ziel, auf das die Ortskirche hinarbeiten will, ist einfach und klar: „Die Menschen in unserem Land führen ein gutes Leben.“ Damit formuliert die Synode in einfachen Worten, worum es der Kirche in ihrem Einsatz für tätige Nächstenliebe gehen muss. Die Arbeit der Caritas und der kirchlichen Strukturen auf allen Ebenen hat zum Ziel, dass Südtirol „ein hilfsbereites Land“ ist.Die Synode bezieht damit – wie zuletzt in Weissenstein – deutlich Position in den gegenwärtigen öffentlichen Debatten: „Aufmerksamkeit und Einsatz für den Nächsten“ müssen „selbstverständlich“ sein. Wo aber Menschen „verletzt, arm gemacht, ausgegrenzt, ungerecht behandelt, in Gefahr gebracht werden“, da muss die Kirche Partei ergreifen. Dabei zählt allein „das Wohl dessen, der Hilfe braucht“, während „Alter, Geschlecht, Muttersprache, ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Religion und Kirchlichkeit“ als Unterscheidungskriterien entfallen.Ebenso klar benennt die Synode die Schieflagen im eigenen Haus: In vielen Pfarreien besteht ein großes Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen Vollzügen, die Kirche kennzeichnen. In diesem Sinne schreiben die Synodalen, dass der Dienst am Nächsten für die Kirche „ebenso wichtig“ sein muss „wie Liturgie, Verkündigung und der Aufbau von kirchlichen Gemeinden.“ Die Kirche hat einen wichtigen Beitrag zu leisten, damit „ein dichtes Netz von öffentlichen und gemeinnützig-privaten Sozial- und Gesundheitseinrichtungen Menschen auffängt, wenn sie in Schwierigkeiten geraten.“ Dafür will die Kirche Südtirols die soziale Freiwilligenarbeit fördern und eine starkes Netz von kirchlichen und nicht-kirchlichen Organisationen und Initiativen fördern. Den Glauben im Leben vertiefen und weitertragenIn dieselbe Kerbe schlägt auch das zweite Visionspapier, das heute veröffentlicht wurde: „Glaube wächst und verbreitet sich auch durch tätige Nächstenliebe.“ In der Frage, wie der christliche Glaube heute vertieft und vermittelt werden kann, nehmen die „Begegnung mit Gott in der Heiligen Schrift und in den Sakramenten“ sowie in den „verschiedenen Gebetsformen“ eine zentrale Stellung ein. Daraus folgt für die Synodalen aber, dass „die konkrete Lebenserfahrung der Menschen als Ort der Gotteserfahrung“ ernst genommen werden muss, um sie „mit der Botschaft des Glaubens in Beziehung“ zu bringen. Die Begegnung mit Armen und Entrechteten ist aus christlicher Überzeugung Begegnung mit Gott und somit ein zentraler Weg der Glaubensvertiefung.Es geht also darum, „Kirche als solidarische Gemeinschaft und zugleich als Ort und Raum der Freiheit zu verwirklichen.“ Hier gilt: „Unsere besondere Sorge gilt den Suchenden, denen, die schwach sind, den Leidenden und denen, die die Orientierung verloren haben: mit ihnen allen teilen wir das Leben.“ Die Synode zeichnet damit das Bild einer Kirche, welche neue Wege geht, indem sie „alle Menschen in ihrer Einzigartigkeit“ annimmt und „in der Verkündigung an ihre Erfahrungswelt“ anknüpft.Eine besondere Herausforderung sieht die Synode in diesem Zusammenhang in der „wachsende Vielfalt an religiösen und spirituellen Lebensstilen innerhalb unserer Kirche“. Entgegen einer verbreiteten Haltung der Abwehr sieht die Synode darin eine Einladung, „den Sinn und die emotionalen Bedürfnisse wahrzunehmen, die dahinterstecken“. Es geht darum, die Bedürfnisse und Werte zu schätzen, die hier zum Ausdruck kommen. Darum, schreiben die Synodalen „prüfen wir alle diese Formen, erneuern sie wenn nötig und beziehen sie in die Katechese mit ein.“
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