„Kein Mensch ist eine Insel“ – kaum ein Dichterwort bringt, wie dieses von John Donne, den Sinn der Solidarität auf den Punkt. Niemand lebt einfach für sich allein, sondern jeder Mensch ist Teil eines Ganzen und für dieses Ganze bedeutsam und wichtig. Das Schicksal jedes einzelnen Menschen, auch des letzten und unbedeutendsten, betrifft auch alle anderen. Solidarität ist kein vages Mitgefühl, sondern die Tatsache, dass wir füreinander verantwortlich sind.
Eindrucksvoll bringt Jesus diese Wahrheit in seiner bildkräftigen Beschreibung des Letzten Gerichts zum Ausdruck. Er identifiziert sich mit den Hungernden und Leidenden, den Obdachlosen, Gefangenen und Flüchtlingen: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Die Verantwortung der Menschen füreinander ist für Jesus gleichbedeutend mit der Verantwortung der Menschen vor Gott. Wenn ich in solidarischer Verantwortung mit meinen Mitmenschen verbunden bleibe, dann bleibe ich auch mit Gott verbunden. Gott selbst hat uns im Kreuz Jesu seine tiefste und letzte Solidarität gezeigt und uns damit den Weg in sein Reich der Liebe aufgezeigt.
Die Solidarität war auch der Weg von Josef Mayr-Nusser: vom schlichten Dienst an den Armen und an der Jugend bis hin zum äußersten Zeugnis im Martyrium. Dieser Weg endete nicht am Bahnhof von Erlangen: er führte mitten hinein in die rettende Liebe Gottes. Wir dürfen heuer den diözesanen Tag der Solidarität am dritten Fastensonntag in dankbarer Freude über die Seligsprechung von Josef Mayr-Nusser begehen. Von seinem Lebenszeugnis her gewinnt das Gebot der Nächstenliebe, der Solidarität, plastisch Form. Sein Lebenszeugnis ermutigt uns, Verantwortung für andere zu übernehmen und mit klaren Worten und Taten für Jesus Christus, den Gott der Liebe, einzustehen.
Lassen wir diese Ermutigung nicht ungehört verhallen. Gerade heute wird uns wieder deutlich, wie nötig unsere Welt Menschen braucht, die mutig, christlich und solidarisch für die Armen und Schwachen eintreten. Wir brauchen Frauen und Männer, die klar und vernehmbar die Stimme erheben: gegen den Missbrauch politischer Institutionen durch menschenfeindliche Ideologien; gegen die Gleichgültigkeit gegenüber den Schicksalen der Menschen in den Kriegs- und Krisengebieten; gegen die Zerstörung der Umwelt und den Raubbau an Ressourcen. Die Welt braucht Menschen, die mit ihrem Handeln ein Rufezeichen für Gerechtigkeit und Frieden setzen.
Die Patronate des KVW und der ACLI, denen die Kirchensammlung am Tag der Solidarität zukommt, leisten diesbezüglich einen wichtigen Dienst. Sie verkörpern als Institution den Geist der Solidarität in Fragen der Arbeit und des Alltags. Sie tragen dazu bei, dass auch heute die Botschaft von Tod und Auferstehung Jesu, von Gottes Solidarität mit uns, lebendig bleibt. Ihnen und allen anderen kirchlichen und zivilen Organisationen, die sich für eine solidarische Welt einsetzen, danke ich von ganzem Herzen. Gott schenke uns auf die Fürsprache von Josef Mayr-Nusser den Mut, im Alltag seine Zeugen zu sein: mutig, christlich und solidarisch.
+ Ivo Muser, Bischof
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