Sehr geehrter Herr Präsident des Landtags, geschätzte Mitglieder des Präsidiums, stimati Consiglieri Provinciali, geehrte Landtagsabgeordnete, sehr geehrter Herr Landeshauptmann und geehrte Mitglieder der Landesregierung, stimato Assessore, verehrte Damen und Herren! Die Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums, die wir alle seit unseren Kindertagen kennen, beginnt im imperialen Rom, und sie beginnt politisch. Kaiser Augustus hat den Bewohnern seines Reiches befohlen, sich in der jeweiligen Geburtsstadt registrieren zu lassen. Den Anlass dazu und wie die Geschichte ausgegangen ist, erfahren wir nicht, weil Lukas die Zählgeschichte abbricht und eine Gegengeschichte bringt: die Weihnachtsgeschichte. Sie handelt von kleinen Leuten, von Maria und Josef, einem Kind in der Krippe und von Hirten. Es ist eine Geschichte über Leute, die zwar gezählt werden, die aber eigentlich nichts zählen. Das Interessante an der Weihnachtsgeschichte ist, dass aus dieser Geschichte über kleine Leute Weltgeschichte geworden ist.Die Zählung, die Kaiser Augustus einst anordnete, geschieht auch heute noch, allerdings unter völlig veränderten Vorzeichen. Heute wird gezählt und gerechnet wie nie zuvor: Persönliche Daten werden erfasst, Gewinne und Renditen gezählt, Wachstum und Bruttosozialprodukt in Prozenten errechnet; Leistung wird gewogen; gezählt werden die Kosten für Dienste der Menschlichkeit an Kranken, an Alten und Gebrechlichen; gezählt und gerechnet wird bei den Ausgaben zur Eindämmung von Armut, hierzulande etwa bei der Grundsicherung, beim Mietbeitrag. Selbst die Existenz von Flüchtlingen wird in Zahlen und Kontingenten angegeben. Die Geschichten hinter den Flüchtlingen interessieren aber oft nicht. Nicht gezählt werden – und das ist bezeichnend für unsere Art zu denken - menschliche Begegnung, Zuwendung, Nächstenliebe. Martin Heidegger, der große deutsche Philosoph, unterscheidet zwei Denkformen: das rechnende Denken und das besinnliche Denken. Vom ersteren, meint er, es sei überentwickelt; beim besinnlichen Denken, beim Nachdenken, da gäbe es noch viel Aufholbedarf.Die Weihnachtsgeschichte lädt ein, die kleinen Leute des Alltags nicht als Nummern, sondern als Menschen, als Männer, Frauen und Kinder mit Gesichtern zu sehen und ihre Geschichten ernst zu nehmen.Welche Überlegungen ergeben sich aus dem bisher Dargelegten für die Gesellschaft in Südtirol, für ihre Institutionen, für die Politik im Allgemeinen? Friedliches ZusammenlebenNach meiner Einschätzung haben wir zwei offene Baustellen: eine kleine und eine große. Mit der kleinen Baustelle meine ich das Zusammenleben zwischen der Bevölkerung mit deutscher, italienischer und ladinischer Muttersprache. Da hat es in den hinter uns liegenden Jahrzehnten auch Dank der Autonomie große Fortschritte gegeben. Weitaus schwieriger zu gestalten ist die andere, die große Baustelle: der Umgang mit den neuen Bürgern und Bürgerinnen. Die gesellschaftspolitisch relevante Frage insgesamt lautet: Wie organisieren wir es, dass Menschen mit unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und religiösen Bekenntnissen sich unter einem Dach beheimatet fühlen können? Ziel muss eine Gesellschaft sein, in der Menschen ohne Angst verschieden sein können – so sagt einmal der Philosoph Theodor W. Adorno.
Gutes LebenWie schaffen wir den Umstieg vom quantitativen zu qualitativem Wachstum? Damit verbunden ist die ökologische Frage. Materieller Wohlstand und Konsumsteigerung allein haben die Menschen nicht zufriedener gemacht. Anlass zu Sorge bietet eine Einstellung, wo ohne lange zu überlegen in Macht- und Anspruchskategorien gedacht wird. Zu fragen wäre, ob der Begriff Wohlstand im traditionellen Sinne noch das beinhaltet, was wir meinen, wenn von Lebensqualität die Rede ist. Wenn wir von „Konsum“ sprechen, meinen wir weithin noch immer den Konsum jener materiellen Güter, die uns in der Welt des Habens gefangen halten und uns hindern, häufiger in die Welt des Seins einzutauchen – wie Erich Fromm mit Blick auf unser je eignes Glück aber auch auf das der Gesellschaft empfohlen hat. Verteilungsgerechtigkeit bei sinkenden öffentlichen EinnahmenNach christlichem aber auch nach humanistischem Verständnis gehört zum Menschsein der Schutz der Schwachen – wer immer diese sind. Wer den Schutz der Schwachen aufgibt, gibt die Identität des Menschen preis. Der Schutz der Schwachen ist heute stark gefährdet. Seit einigen Jahren lässt sich ein ungenierter Kult des Starken beobachten, insbesondere im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich. Es hat sich ein Umgang mit den schwachen Gliedern der Gesellschaft breit gemacht, für den es bis vor kurzem noch moralische Hemmungen gab. Belastbare SolidaritätDer Begriff „Solidarität“ ist zentral für das Gelingen menschlichen Zusammenlebens. Ohne ein hohes Maß an belastbarer Solidarität werden der demographische Wandel, die Umbrüche in der Arbeitswelt, das Einkommensgefälle, die wachsende Armut, der Flüchtlingsnotstand u.a.m. nicht zu bewältigen sein. Da braucht es mehr und nicht weniger Solidarität. Solidarität darf nicht allein auf die individuelle Ebene ausgelagert werden. Sie ist zu flankieren mit 1) einem starken öffentlichen Engagement, 2) mit der Übernahme von Eigenverantwortung, 3) mit der Aufwertung der Freiwilligenarbeit. Dieses Dreigestirn ist so etwas wie ein ‚kategorischer Imperativ’ für die Bewältigung anstehender Problemlagen mit nachhaltigen Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft. Bitten und WünscheAus tiefer Überzeugung bitte ich dieses Hohe Haus, dass es sich klar – wo immer es möglich ist - für den Sonntags– und Feiertagsschutz ausspricht, auch gegen Widerstände und Privatinteressen. Der Mensch ist viel mehr als Produktivität, Leistung, Konsum und Arbeit. Wir brauchen unsere Sonn- und Feiertage mit ihren sozialen, familiären, gemeinschaftsbildenden, kulturellen und religiösen Chancen!Ich möchte von meiner christlichen Überzeugung her und von diesem besonderen Ort aus, an dem ich heute sprechen darf, die Menschen in unserem Land ermutigen, sich für die Politik zu interessieren, manchmal trotz allem und durch alles hindurch, sich einzubringen in Wort und Tat, sich einzusetzen für das Ganze, das alle angeht, kritisch zu sein gegenüber allen zu kurzsichtigen, vordergründigen und egoistischen Lösungsvorschlägen.Ich wünsche Ihnen, verehrte Vertreterinnen und Vertreter dieses Hohen Hauses, den Mut und die Kraft, unser Land mit zu gestalten – für alle Menschen in unserer Heimat, besonders für unsere Familien. Ich versichere Ihnen meinen Respekt und auch die Dankbarkeit der Ortskirche für Ihren wertvollen und unverzichtbaren politischen Einsatz als Mehrheit und als Opposition. Gesegnete, gnadenreiche und frohe Weihnachten! Möge der Stern von Betlehem über diesem Hohen Haus stehen bleiben und ein hoffnungsvolles Neues Jahr 2015 ankündigen!
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