Das nachsynodale Schreiben „Amoris laetitia“ von Papst Franziskus ist ein Dokument, das in einer neuen Sprache verfasst ist – in einer einfachen, direkten, ansprechenden Sprache mit einem verständnisvollen, wertschätzenden und ermutigenden Ton. Als „heilende Sprache“ bezeichnete Bischof Ivo Muser den Stil dieses Dokumentes bei der gestrigen Tagung zu „Amoris laetitia“ in der Cusanus Akademie in Brixen. Die Referenten P. Martin Lintner und Prof. Roman Siebenrock haben auf eindrucksvolle Weise aufgezeigt, wie in diesem Schreiben das (neue) Vertrauen in die Gewissenskompetenz der Gläubigen beschrieben wird.
Ehe- und Familienseelsorger Toni Fiung hat den gestrigen Abend in der Cusanus Akademie moderiert und darauf hingewiesen, dass Papst Franziskus im Schreiben „Amoris laetitia“ „als Seelsorger spricht, der um das Wohl des Menschen bemüht ist“. Gleichzeitig betonte Fiung: „Franziskus fordert uns Seelsorger auf und heraus, Menschen zu begleiten und besonders jenen nahe zu sein, die es schwer haben.“
In den vergangenen Wochen ist ein regelrechter Wettstreit über die Deutungshoheit dieses nachsynodalen Schreibens entbrannt – besonders über das Kapitel 8, wo von den sogenannten „irregulären“ Situationen die Rede ist. Deshalb haben beide Referenten darauf verwiesen, dass es in „Amoris laetitia“ keine Änderung auf der dogmatischen Ebene hinsichtlich der Ehelehre (z.B. Unauflöslichkeit) gibt, wohl aber neue Akzentuierungen auf der Ebene der Pastoral und der Moraltheologie.
Als Grundtenor des Schreibens haben die Referenten das (neue) Vertrauen in die Gewissenskompetenz der Gläubigen beschrieben. Dabei versteht Papst Franziskus das Gewissen zuerst als Begegnungsort mit Gott. „Es gibt keine Patentrezepte, sondern es bedarf situationsgerechter Lösungen“, so P. Martin Lintner, für den dies ein Zweifaches bedeutet: Erstens gibt es für die unterschiedlichen Situationen nicht eine einzige gemeinsame Lösung, sondern eine solche muss für die je konkrete Situation gefunden werden; zweitens kann es auch nicht nur eine einzige Lösung geben, sondern es geht darum, die je bessere Lösung zu finden, die unter Umständen nicht die einzig mögliche sein muss.
„Das Gewissen ist der Ort der Unterscheidung – in der Suche nach dem Willen Gottes in einer konkreten Situation und kein Regelgehorsam“, so Professor Roman Siebenrock, der darauf hinwies, sich der Gegenwart der Barmherzigkeit Gottes in jeder Lebenssituation bewusst zu werden. Der Professor für Dogmatik gab in seinen Ausführungen aber auch zu bedenken: „Es scheint mir, dass uns Papst Franziskus mit dieser Betonung vom Gewissen und unserer Verantwortung als Getaufte überfordert, denn er fordert uns heraus, authentische Glaubenszeugen zu sein. Es geht dem Papst schlussendlich um eine tiefe Erneuerung der Kirche aus der Begegnung mit Christus.“
Nach den beiden Vorträgen wurde einer lebendigen und sehr offenen Diskussion breiter Raum gegeben, in die sich auch Bischof Ivo Muser mit einem abschließenden Statement zu „Amoris laetitia“ eingebracht hatte. „Unterscheiden, begleiten, Anteil nehmen: das ist der pastorale Stil von Papst Franziskus und diesen Auftrag gibt er mit diesem seinem Schreiben der Kirche“, so der Bischof, der betonte: „Der Papst weigert sich erneut durch bestimmte Normen ein normatives Verhalten einzufordern. Er sieht vielmehr die ganze Kirche als Subjekt und ruft die ganze Kirche durch das Vertrauen in die Gewissenskompetenz der Gläubigen in die Verantwortung.“
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